Aktienmarkt Börse stellt sich auf Rezession ein

Düsseldorf · Erst Pandemie, dann Inflation, dann Zinserhöhung: Probleme gab es genug. Jetzt droht Europas Wirtschaft vor allem durch die Gaskrise ein deutlicher Abschwung. Auch das macht den Dollar attraktiv.

 Der Handelssaal der Frankfurter Wertpapierbörse

Der Handelssaal der Frankfurter Wertpapierbörse

Foto: dpa/Hannes P. Albert

Die fast drei Prozent, die der Deutsche Aktien-Index (Dax) am Dienstag verloren hatte, hat er am Mittwoch in Teilen wieder aufgeholt: Kein Problem, könnte man meinen, kleiner Kurssturz vielleicht, bei dem sich manche Anleger wieder zu günstigeren Kursen eingedeckt haben. Doch in Zeiten, in denen alle Welt darüber redet, wie groß die Probleme mit der Gasversorgung auch für Unternehmen sind und welche Folgen ein kompletter Lieferstopp haben könnte, ist sofort auch der Gedanke an eine mögliche Rezession da.

Vor der fürchten sich naturgemäß auch die Börsianer. Denn ein Abschwung der Wirtschaft würde den Kursrutsch fortsetzen, womöglich sogar noch einmal deutlich beschleunigen. Der Absturz vom Dienstag hat den Dax auf das niedrigste Niveau seit November 2020 geschickt. Genau wie den Euro. So mancher Investor verliert angesichts der Probleme in Europa vermutlich das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung, zumal der Dollarraum wegen der gestiegenen Zinsen in den USA derzeit die attraktivere Währungszone ist.

An der Börse hat es in den vergangenen Monaten schon genug Probleme gegeben, die die Kurse belastet haben. Dazu gehören die Folgen der Pandemie, die immense Inflation, die den Konsum bremst und gleichzeitig die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale in sich trägt, und die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB), die Zinsen doch noch zu erhöhen, was in der Regel ebenfalls Gift für die Aktienkurse ist. Der Dax hat binnen einer Woche vier, innerhalb eines Monats zwölf und in den vergangenen zwölf Monaten fast 19 Prozent eingebüßt. Und jetzt die Rezession? Oder eine Stagflation – also ein Zustand ohne Wachstum, bei dem aber trotzdem die Preise weiter steigen?

„Für mich ist es keine Frage, ob wir eine Rezession bekommen. Es geht eher darum, wann und wie scharf diese ausfallen wird“, sagt Chris-Oliver Schickentanz, künftiger Chefanlagestratege des unabhängigen Vermögensverwalters Capitell. „Der Mix aus Lieferkettenproblemen, steigenden Zinsen, gebremstem Konsum- und Investitionshunger wird das Wachstum in den kommenden Quartalen massiv abbremsen.“ Viele Volkswirte hätten darauf gehofft, dass das in der Corona-Krise gesparte Geld in die Realwirtschaft fließen werde, aber angesichts der massiven Preissteigerungen werde das Ersparte nun eher dafür benötigt, den Inflationsdruck abzupuffern. Anders ausgedrückt: Was gespart wird, fließt nicht in den Konsum, sondern beispielsweise in die hohe Rechnung für die Nebenkosten im kommenden Jahr.

Das ist aber noch die moderate Variante. Fielen die Gaslieferungen aus Russland vollständig aus, könnte die Wirtschaft in Europa um drei bis fünf Prozent schrumpfen, so Schickentanz. Also in einem Ausmaß, das es zuletzt im Gefolge der internationalen Finanzkrise vor mehr als einem Jahrzehnt gab. Und da ist noch nicht eingepreist, welche Folgen eine neuerliche Corona-Welle im Herbst für die Wirtschaft haben könnte. Auch, wenn es diesmal keine Schließungswelle gäbe.

Schickentanz‘ Folgerung für die Aktienmärkte klingt düster: „Eine Rezession zieht üblicherweise Kursverluste von durchschnittlich 30 Prozent nach sich.“ Womöglich seien so manche Gewinnerwartungen der Analysten noch einmal nach unten zu korrigieren, heißt es. Und auf niedrigere Zinsen, die in Normalzeiten die Börsenkurse nach oben treiben könnten, darf man derzeit eben wegen der hohen Inflation nicht hoffen.

Also lautet die Devise, in den kommenden Monaten weniger Anteile seines Ersparten in Aktien zu stecken als früher. Und wenn man doch investiert – in was? „Da machen defensive Titel aus den Bereichen Gesundheit, Alltagskonsum oder Telekommunikation am meisten Sinn“, sagt Schickentanz. Abraten würde er derzeit vom „langfristigen Konsum“ (beispielsweise Autoindustrie), Maschinenbau und der chemischen Industrie.

Und bei den Versorgern müsse man „sehr genau hinschauen“. Welche Folgen ein Gasstopp haben könnte, kann man noch nicht genau sagen. Wie groß auch die Sorge der Anleger darüber ist, zeigt der Fall Uniper. Die Aktie des Düsseldorfer Versorgers hat im Zuge der Diskussion um ausbleibende Gaslieferungen aus Russland innerhalb von fünf Tagen 40 Prozent des Börsenwertes verloren, ungeachtet eines leichten Kursanstiegs am Mittwoch. „Die Folgen sind aber von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich“, so Schickentanz. Aus seiner Sicht gibt es aber auch schon Licht am Ende des Tunnels: Er erwartet „im späteren Verlauf des zweiten Halbjahrs“ eine Wende zum Besseren – mit einer Beruhigung der Inflationsentwicklung.

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