Finanzwissenschaftler "Pflegeversicherung war größter sozialpolitischer Fehler"

Köln · Massive Kritik von Expertenseite: Als "größten sozialpolitischen Fehler der Nachkriegsgeschichte" wertet der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen die Einführung der Pflegeversicherung 1995.

 Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen.

Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen.

Foto: Uwe Schinkel

"Die Pflegeversicherung war die Einführung eines Generationenvertrags in dem Wissen, dass die Generation, die ihn erfüllen soll, gar nicht da ist", sagte er am Freitag im Deutschlandfunk mit Blick auf die geringe Kinderzahl der Deutschen.

Raffelhüschen erinnerte daran, dass bis 1995 jeder für sein Alter selbst habe vorsorgen müssen. Die Ärmeren seien dann im Zweifelsfall von der Sozialhilfe unterstützt worden. "Nach 1995 haben alle was bekommen. Die Armen dasselbe wie vorher, die haben nichts dadurch gewonnen, und die Reichen, die wurden bereichert". Die Pflegeversicherung sei damit "nichts anderes als eine Art groß angelegtes Erbschaftsbewahrungsprogramm für den deutschen Mittelstand" gewesen.

Der Finanzwissenschaftler forderte eine stärkere Entlastung von Familien mit Kindern bei Steuern und Sozialabgaben. Nach wie vor schulterten die Familien die Gesellschaft der Zukunft. "Kinderlose sind nicht diejenigen, die wirklich etwas für den Bestand einer Gesellschaft tun." Ob das etwa durch höhere Beiträge von Kinderlosen in der Sozialversicherung geschehen solle, sei Sache der Politik.

Mit Blick auf den demografischen Wandel forderte Raffelhüschen, der Mitglied in den Aufsichtsräten der ERGO-Versicherungsgruppe und der Diakonie ist, eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 69 Jahre. "Ich fände es vernünftig, wenn wir die Jahre, die wir als Lebenszeit gewinnen, zumindest zur Hälfte in der Erwerbstätigkeit und zur anderen Hälfte in der Rente verbringen sollten", sagte er.

Raffelhüschen verwies zugleich darauf, dass der demografische Wandel lediglich ein Übergangsproblem sei. So lange die geburtenstarken Jahrgänge lebten, müssten immer weniger junge Menschen viele Alte finanzieren. "Wenn die geburtenstarken Jahrgänge nicht mehr da sind, dann haben wir auch das Problem eigentlich erledigt - denn dann haben wir wenige, die wenige finanzieren."

(KNA)
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