Leverkusen Bayer – der rheinische Weltkonzern wird 150

Leverkusen · Am Dienstag gratuliert die Kanzlerin dem Unternehmen, in dem sich Licht und Schatten deutscher Wirtschaftsgeschichte spiegeln.

Wenn es wichtig wird bei Bayer, kommt es auf die Frauen an: Am Dienstag besuchen Kanzlerin Merkel und NRW-Ministerpräsident Kraft das Rheinland, um seinem wertvollsten Konzern zum 150. Geburtstag zu gratulieren. Und es war auch eine Frau, die dem einflussreichsten Bayer-Chef den Weg ebnete: Die Mutter von Carl Duisberg setzte gegen den Willen des Vaters durch, dass der kleine Carl (1861-1935) nicht auf dem heimischen Hof blieb, sondern Chemie studieren durfte.

Duisberg war zwar nicht der Gründer, doch er machte die kleine Farbstoff-Fabrik aus Wuppertal zum Weltkonzern. Duisberg war es auch, der den Firmensitz nach Leverkusen verlegt. An dem Standort hatte Bayer 1891 eine Farbstoff-Fabrik von Carl Leverkus gekauft, der der später entstandenen Stadt ihren Namen gab. Die ersten Techniker, die von Wuppertal aus in die ländliche Einöde abkommandiert wurden, sprachen vom "Ende der Welt". Bis heute ist Bayer Leverkusen und Leverkusen Bayer. Stadt und Konzern hängen zusammen, wie es das in Deutschland sonst nur noch einmal gibt (mit Volkswagen und Wolfsburg). Dass der Festakt mit der Kanzlerin in der Kölner Messehalle stattfindet, sieht man in Leverkusen rheinisch-großzügig.

Bayer ist von einem kleinen Drei-Mann-Betrieb aufgestiegen zur AG mit heute 110 000 Mitarbeitern. Der rheinische Weltkonzern spiegelt dabei die deutsche Geschichte mit allen Licht- und Schattenseiten wider.

Bayer ist Chemie-Geschichte: Als der Kaufmann Friedrich Bayer mit dem Färbermeister Johann Weskott das Unternehmen gründete, stellte es synthetische Farbstoffe aus Kohle-Nebenprodukten her. Abnehmer war die deutsche Textilindustrie, bis dato hatte man Kleidung, wenn überhaupt, nur mit teuren natürlichen Farbstoffen färben können. Rasch kam die chemische Herstellung von Arzneien hinzu. Schon 1899 brachte Bayer Acetylsalicylsäure auf den Markt, die unter dem Namen Aspirin eine Weltkarriere machte. Bis heute zählt das Schmerzmittel zu den zehn umsatzstärksten Pharmaprodukten von Bayer. Der Forscher Gerhard Domagk entwickelte das erste Antibiotikum, sein Prontosil rettet vielen Menschen mit Infektionskrankheiten das Leben. Bayer wurde zur "Apotheke der Welt"

Schon 1892 hatte Bayer das erste synthetisch hergestellte Insektizid zur Raupen-Bekämpfung entwickelt. Dies war die Geburtsstunde des Pflanzenschutzes, bis heute zweites Standbein von Bayer.

1937 erfindet Otto Bayer Polyurethane – Kunststoffe, die man zur Herstellung von Schaumstoffen braucht. Die Chemie ist das jüngste der drei Bayer-Standbeine und das wackeligste. Erst gestern forderten Analysten den Verkauf, um die anderen Sparten zu stärkern.

Nur mit der Gentechnik wurde es in Deutschland nichts. Zu groß waren die Widerstände in Gesellschaft und Politik. Und mit denen umzugehen, fällt Bayer immer wieder schwer, wie der aktuelle Streit um die Kohlenmonoxid-Pipeline zwischen Krefeld und Dormagen zeigt.

Bayer ist Wirtschafts-Geschichte: Das Unternehmen stieg auf mit dem Wirtschaftsboom vor dem ersten Weltkrieg. Doch als 1918 in Russland die roten Revolutionäre die Herrschaft übernahmen, wurde auch Bayer dort enteignet. Ebenso verlor der Konzern in den USA alle Patente und Vermögen und konnte erst 1994 seine Namensrechte zurückkaufen. Auch die Weltwirtschaftskrise 1929 traf den Konzern hart: Jeder fünfte Mitarbeiter verlor seinen Arbeitsplatz.

In den 1920er Jahren schien die Bayer-Geschichte ohnehin schon zu Ende zu gehen: Der Konzern übertrug sein gesamtes Vermögen der berüchtigten Interessengemeinschaft Farben (IG Farben), zu denen auch BASF und Hoechst gehörten. Bayer wurde im Handelsregister gelöscht. Jene IG Farben arbeitete in Nazi-Deutschland als "kriegswichtiger Betrieb" und beutete Fremd- und Zwangsarbeiter aus den besetzten Ländern brutal aus. Bei Bayer machten die Fremd- und Zwangsarbeiter zeitweise ein Drittel der Belegschaft aus. Häftlinge aus Konzentrationslagern seien in den Werken am Niederrhein aber nicht eingesetzt worden, betont die Werks-Chronik.

1951 beginnt das neue Leben des Konzerns. Nach der Zerschlagung der IG Farben durch die Alliierten entstehen zwölf Unternehmen, darunter die Bayer AG, die als Tochter die Fotochemie-Tochter Agfa erhält. Anschließend findet das deutsche Wirtschaftswunder auch in Leverkusen, Dormagen (das Werk wurde bereits 1917 gegründet) und den anderen deutschen Werken statt. Bayer produziert Dralon – jene synthetische Faser, aus der die Kleider im Wirtschaftswunder-Land genäht wurden. Bayer produziert Herz-Kreislauf-Medikamente wie Adalat gegen die neuen Wohlstands-Krankheiten der Deutschen. Die spätere Tochter Schering produziert Verhütungsmittel, die eine Revolution für Frauen bedeuten.

Herb trifft Bayer als Chemie-Konzern die Erdöl-Krise Anfang der 1970er Jahre. Später erobert man die Welt: Als erste deutsche Aktiengesellschaft wird Bayer an der japanischen Börse notiert. Auch auf das New Yorker Parkett zieht es den Konzern. Doch der Start muss wegen der aufziehenden Lipobay-Krise verschoben werden, die Bayer fast vernichtet hätte. Wochenlang stand der Konzern 2001 in den Schlagzeilen wegen Todesfällen von Patienten, die den Cholesterinsenker Lipobay genommen hatten. Der Konzern musste das Medikament vom Markt nehmen, sah sich Schadenersatz-Forderungen in Milliarden-Höhe gegenüber, der Aktienkurs stürzte unter zehn Euro (gestern lag er bei 85 Euro).

Dann kam die Stunde von Werner Wenning, der vom Lehrling zum Konzern-Chef aufgestiegen war: 2005 gliederte er die Chemiesparte unter dem Namen Lanxess aus. Was Beobachter damals als "Bayers Resterampe" verhöhnten, schaffte jüngst den Aufstieg in den Dax. Nachdem der Verkauf der Pharma-sparte gescheitert war, legte Wenning den Schalter um und übernahm den Konkurrenten Schering. Bayer wurde zum wichtigsten deutschen Pharmakonzern, der jetzt in die globale Top Ten will.

Bayer ist Sozialgeschichte: Bayer ist auch im Umgang mit seinen Mitarbeitern ein sehr deutsches Unternehmen. Schon Carl Duisberg hatte den Neun-Stunden-Tag eingeführt. Später versorgte der Konzern seine Mitarbeiter mit Wohnungen, Einkaufsmöglichkeiten, Sportvereinen und Kultur im Erholungshaus. Umso ernüchternder war es für viele, als sich der zunehmend globalisierte Konzern von vielen dieser Wohltaten verabschiedete. Bayer verkaufte die Werkswohnungen und stellte das Sponsoring von Leichtathletik und Ballsport-Vereinen ein. Als dann mit Marijn Dekkers der erste Ausländer Chef wurde, sprachen viele vom Kulturbruch. So arg kam es nicht. Bayer ist heute der drittwertvollste deutsche Konzern, Leverkusen soll auch in 50 Jahren noch Zentrale sein.

Nur bei den Frauen in Spitzenjobs hakt es weiter. Doch das wird ebenso kommen wie ein deutscher Fußballmeister Bayer 04, hat Aufsichtsrats-Chef Wenning versprochen. "Alles wird kommen – und alles zu seiner Zeit."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort