Brüssel/Berlin "Baby für Frauen, Eckbüro für Männer"
Brüssel/Berlin · Brüssel beschließt eine 40-Prozent-Frauenquote für Aufsichtsräte, doch Kritiker sprechen von einem zahnlosen Tiger.
Aus ihrer Genugtuung machte Viviane Reding gestern keinen Hehl. Breit lächelnd verkündete die EU-Kommissarin ihren vorläufigen Sieg in Sachen EU-Frauenquote: "Dies ist ein historischer Tag für die Geschlechtergerechtigkeit." Die Luxemburgerin will börsennotierten Konzernen einen Frauen-Anteil von 40 Prozent in den Aufsichtsräten bis 2020 vorschreiben.
In Kraft treten kann Redings EU-Richtlinie allerdings nur, wenn die EU-Staaten zustimmen. Neun Länder darunter Deutschland, wollen die Direktive aber verhindern. "Das muss auf nationaler Ebene geregelt werden", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die Bundesregierung bezweifle, ob die EU-Kommission befugt sei, in dieser Frage in nationales Recht einzugreifen. Familienministerin Kristina Schröder (CDU), eine Gegnerin jeder festen Frauenquote, erklärte: "Die nationale Gesetzgebung muss Vorrang haben vor Brüsseler Vorschriften." Ob Reding also endgültig siegt, ist fraglich.
Von der 40-Prozent-Quote betroffen wären nach EU-Angaben rund 5000 Unternehmen, 700 davon in Deutschland. Bei Verstößen drohen nach Redings Plänen Geldbußen oder die Annullierung der Besetzung. Die Strafen müssten allerdings die Mitgliedsstaaten verhängen. Sie würden auch deren Höhe bestimmen. Die EU könnte auch gegen Staaten wegen Vertragsverletzung vorgehen.
Weitergehende Sanktions-Forderungen wie der Entzug staatlicher Subventionen oder der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen ließ Reding aber fallen. Die jetzige Richtlinien-Fassung sieht auch mehr Ausnahmen von der Quote vor als der vorherige. So können Mitgliedstaaten börsennotierte Firmen verschonen, in denen insgesamt weniger als zehn Prozent Frauen beschäftigt sind. Auch eine indirekte Anrechnung von Frauen in Vorständen auf die Vorgabe für die Aufsichtsräte ist möglich. Firmen mit weniger als 50 Millionen Euro Jahresumsatz und weniger als 250 Mitarbeitern sind ohnehin nicht betroffen. Außerdem sollen Länder, die schon effiziente Regeln zur Frauenförderung haben, die Pläne nicht umsetzen müssen.
Ihren Plan, die Quote auf Vorstände auszudehnen, musste Reding aufgeben. Börsennotierte Unternehmen sollen sich aber für diesen Bereich freiwillig eine Quote auferlegen, die bis 2020 erfüllt sein sollte. Dem Vorwurf der "Diskriminierung" von Männern beugt Reding dadurch vor, dass es keinen Automatismus gibt. Wird ein Aufsichtsratsposten neu besetzt, muss das Unternehmen zwar im Prinzip die jeweiligen Bewerberin nehmen – bis die 40-Prozent-Quote erreicht ist. Jedoch nur, wenn diese gleich gut qualifiziert ist. Zudem lässt der jetzige Vorschlag Firmen mehr Spielraum, durch ein gesondertes Auswahlverfahren doch einen männlichen Kandidaten vorzuziehen. Die Beweislast, das dieser besser geeignet ist, liegt im Streitfall jedoch bei den Unternehmen.
Alle Selbstverpflichtungen der Unternehmen hätten "im Grundsatz gar nichts bewegt", so Reding. Ein Blick auf die Zahlen gibt ihr Recht: EU-weit sind nur 13,7 Prozent der Aufsichtsratsposten in den größten Firmen mit Frauen besetzt.
Doch Kritiker halten Redings Vorschlag für einen zahnlosen Tiger, weil sie nicht für Vorstandsposten und das Management gilt. "Wenn Frauen mehr Einfluss bekommen sollen, dann müssen sie in den Vorstand und damit in das echte Geschäft", sagte Christian Böhnke, Mitglied der Geschäftsleitung der ersten nur auf Frauen spezialisierten Personalberatung "Hunting Her" in Hamburg.
Es sei eine falsche Vorstellung, dass mehr weibliche Aufsichtsräte dafür sorgen, mehr Frauen in das Management zu holen. Auch eine Kommentatorin der "Süddeutschen Zeitung" zeigte sich enttäuscht. Sie schrieb mit Blick auf die weiterhin besseren Chancen von Männern, in die Chefzimmer aufzusteigen: "Frauen bekommen ein Baby, Männer dagegen ein Eckbüro."