Auslands-Telefonate ab 2016 zu Inlandstarif

Die EU-Kommissarin Neelie Kroes will mit niedrigeren Preisen für Telekommunikation das Wirtschaftswachstum ankurbeln.

Ihre Telekomreform sorgt für Wirbel. Was bringt sie den Verbrauchern?

Kroes Sie bekommen niedrigere Preise, bessere Qualität und größere Auswahl. Mehr noch: Der Binnenmarkt ist das Kronjuwel der EU. Ausgerechnet beim Telefonieren gibt es aber noch nationale Grenzen. Das ist absurd und hemmt die Wettbewerbsfähigkeit. Ein echter Telekommunikationsbinnenmarkt ist ein prima Konjunkturprogramm. Er bewirkt eine dauerhafte Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um fast ein Prozent jährlich. Das macht in vielen Ländern — auch Deutschland - den Unterschied zwischen Wachstum und Rezession aus.

Im Rat, der Vertretung der EU-Staaten, gibt es Widerstand. Rechnen Sie damit, dass die Reform vor den Europawahlen im Mai beschlossen wird?

Kroes Ich werde dafür kämpfen wie eine Löwin. Ich brauche dringend die Unterstützung Deutschlands, um die Reform noch in meiner Amtszeit unter Dach und Fach zu bringen. Der Wille ist da, jetzt sind vernünftige Kompromisse nötig. Wir dürfen nicht riskieren, dass eine große Neuordnung des gesamten Sektors politisch später nicht mehr zustande kommt. Sie ist überfällig.

Warum?

Kroes Die europäische Telekomindustrie spielt nicht mehr in der ersten Liga, hinkt hinterher. Sie hat auf Entwicklungen wie Skype oder die Datenrevolution zu langsam reagiert. Die Umsätze sind absolut wie auch im Vergleich zu den USA, Asien und anderen Märkten rückläufig. Viele Betreiber kämpfen mit hohen Schulden. Durch die schlechte Lage im Telekommunikationssektor wird die übrige Wirtschaft ausgebremst. Wir müssen größeren Schaden abwenden, der durch einen weiteren Niedergang oder gar die Insolvenz unserer Telekommunikationsunternehmen entstehen würde.

Wettbewerbskommissar Almunia prüft gerade die Übernahme von E-Plus durch den Konkurrenten Telefónica Deutschland. Er fürchtet die Schwächung des Wettbewerbs auf dem Mobilfunkmarkt . Sie auch?

Kroes Konsolidierung ist nicht das Ziel meiner Reform, aber es könnte eine Konsequenz sein. Ich bin eine Vorkämpferin für Wettbewerb, aber der hängt von mehr ab als nur der Anzahl der Spieler in einem Markt ab. Die Anbieter müssen auch gesund und innovativ sein. Bei der Übernahme von E-Plus durch Telefonica, sind wir besorgt, dass für das neue Unternehmen weniger Anreiz besteht, Zugang zu seinen Netzen zu fairen Bedingungen zu gewähren. Das könnte es Mitbewerbern schwerer machen, in den Markt zu kommen. Deshalb müssen wir den Fall sehr genau anschauen, um die Verbraucher zu schützen, die sonst am Ende mit höheren Preisen zahlen.

Apropos Preise: Was können Handy-Nutzer durch Ihre Regulierung der Roaming-Aufschläge sparen?

Kroes Im Schnitt sparen Handynutzer im EU-Ausland durch die bisherigen Preisobergrenzen beim Roaming zwischen 70 und 93 Prozent im Vergleich zu 2008 bei Telefonaten, Kurznachrichten und Surfen. Zwei Beispiele: Eine vierköpfige Familie spart bei einem einwöchigen Urlaub im EU-Ausland bereits rund 400 Euro und wird durch eine Abschaffung des Roaming weitere 30 Euro weniger für die Smartphone-Nutzung zahlen. Ein Geschäftsreisender mit zehn Trips pro Jahr in der EU spart heutzutage bereits rund 1200 Euro - und kann mit einer Erleichterung um weitere 100 Euro rechnen.

Nehmen Sie mit dem Wegfall der Roaminggelder von sieben Milliarden Euro den Anbietern nicht Spielraum für nötige Investitionen?

Kroes Die Unternehmen investieren auch jetzt nicht wie ich mir das wünsche. Es ist doch absurd, dass wir in Europa die Ausweiskontrollen an den Grenzen abgeschafft haben, aber bei jeder Auslandsreise erinnert uns eine Warn-SMS daran, dass Telefonieren und Surfen jetzt sündhaft teuer wird. Wir rechnen mit einem direkten Umsatzrückgang um 0,5 Prozent für die Unternehmen durch die Beseitigung des Preisunterschieds zwischen Inlandsgesprächen und Anrufen innerhalb der EU, der aber mittelfristig durch einen höhere Nutzung ausgeglichen wird. Denn jetzt lassen die Nutzer im Ausland ihr Handy öfter aus, weil sie Angst vor Abzocke haben.

Der Roaming-Bann soll ab Juli 2014 schrittweise erfolgen. Wie genau?

Kroes Unser Ziel ist, dass die Anbieter ihre Inlandstarife auf die EU ausdehnen, so dass die Kunden spätestens ab Juli 2016 ihre Handys und Smartphones überall in der Union zu Inlandspreisen benutzen können. Tun die Anbieter das nicht, müssen sie den Kunden bei Reisen für die Dauer des Auslandsaufenthalts anbieten, ohne Wechsel der SIM-Karte die billigeren Roamingdienste eines lokalen Betreibers oder eines heimischen Konkurrenten zu benutzen. Dieser Wechsel soll — ähnlich wie bei der Auswahl von Zugangspunkten zum kabellosen Internet - technisch einfach sein. Die Abrechnung muss der Anbieter im Heimatland übernehmen.

Die Telekom ist nach dem Ärger über ihre Drossel-Pläne zurückgerudert und will als Flatrate nur noch echte Flatrates vermarkten. Gut so?

Kroes Die Anbieter können natürlich Pakete mit klar gekennzeichneten Volumen-Beschränkungen für günstigere Preise anbieten. Wer Filme mit hoher Qualität downloaden will, zahlt eben mehr als jemand, der nur E-Mails versenden oder skypen will. Das ist in Ordnung.

ANJA INGENRIETH FÜHRTE DAS GESPRÄCH. DIE LANGFASSUNG UNTER: WWW.RP-ONLINE.DE/WIRTSCHAFT

(RP)
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