Herrenloses Geld Schlafende Milliarden

Berlin · Auf verwaisten Konten schlummern in Deutschland zwischen zwei und neun Milliarden Euro. Meldet sich binnen 30 Jahren kein Erbe, behalten die Banken das Geld. Eine Initiative regt nun an, das Kapital für Soziales auszugeben.

 Banken horten in Deutschland bis zu neun Milliarden Euro ohne Besitzer.

Banken horten in Deutschland bis zu neun Milliarden Euro ohne Besitzer.

Foto: dpa/Daniel Reinhardt

Eigentlich sollte bei Geld stets klar sein, wem es gehört. Doch bei sogenanntem herrenlosen Geld ist das nicht so einfach. Oft handelt es sich um Guthaben eines verstorbenen Kontoinhabers, von dem Angehörige oder Erben nichts wissen. Häufig sei derjenige kurz vor seinem Tod umgezogen und habe der Bank oder Sparkasse seine neue Adresse nicht genannt, erklärt der Verband Deutscher Erbenermittler. Rechtlich haben die Erben weiter Anspruch auf das kleine oder große Vermögen, doch häufig wissen sie eben nicht, dass es existiert.

Wie viel herrenloses Geld es in Deutschland gibt, scheint niemand genau zu wissen. Die Banken schweigen meist darüber, die Bundesregierung hat zuletzt 2015 bei der Deutschen Kreditwirtschaft nachgefragt. Eine konkrete Antwort bekam sie nicht. Schätzungen gehen von zwei bis neun Milliarden Euro aus. Nach 30 Jahren müssen Banken das Geld von Konten, auf denen sich nichts tut, ausbuchen und als Gewinn versteuern. Der Verein Send, der sich als Interessenverband der deutschen Sozialunternehmer bezeichnet, will nun klare Regeln für die schlafenden Milliarden.

Der Send-Vorschlag beinhaltet auch ein zentrales Melderegister für das verwaiste Geld. Aktuell müssten Betroffene theoretisch jeweils einzeln bei Sparkassen-, Volksbanken- oder Privatbanken-Verbänden anfragen – für Send eine „eigentumsfeindliche Nicht-Lösung“. Durch ein Register für alle Kreditinstitute würden mehr Menschen ihnen zustehendes Geld finden, argumentiert der Verein. Man hätte eine Anlaufstelle, bei der alle Banken die Daten über das herrenlose Kapital hinterlegen müssten. Zudem solle die Frist von 30 auf zehn Jahre verkürzt werden. Das Geld solle danach den Berechtigten schneller zur Verfügung stehen.

Oder, wenn sich kein Erbe meldet, in soziale Projekte investiert werden. Send schlägt vor, damit einen „Social Impact Fonds“ einzurichten. Vorbild ist Großbritannien. Dort gibt es ein Modell, welches das Kapital aus verwaisten Konten für soziale Zwecke nutzt. Dieser „Reclaim Fund“ funktioniert aber auf freiwilliger Basis. Seit seiner Gründung 2011 haben die Banken über eine Milliarde Pfund (1,16 Milliarden Euro) eingezahlt. Ein Großteil dieser Mittel fließt über die speziell dafür geschaffene Big Society Capital in sozialen Wohnungsbau oder Projekte für Inklusion und Bildung. Auch die Schweiz hat beim Thema verwaiste Konten im Grunde die Nase vorn im Vergleich zu Deutschland. Dort müssen die Banken das unbewegte Kapital direkt dem Staat überweisen – allerdings erst nach 60 Jahren.

Dass Deutschland bei dem Thema hinterherhinkt, wurde in den vergangenen Jahren mehrfach angeprangert. Bisher ohne Ergebnis. Jüngst stellte die Bundestagsfraktion der Grünen eine Kleine Anfrage bei der Regierung. Die Antwort: Man habe das Thema „eng im Blick“. Wie viel Geld auf herrenlosen Konten schlummert, weiß die Regierung nicht. Auch die Deutsche Kreditwirtschaft, Sprachrohr aller Banken und Sparkassen, kann auf Anfrage keine Zahlen nennen. Eine Verfügung über die Guthaben auf herrenlosen Konten wäre aus ihrer Sicht „ein Eingriff in das Rechtsverhältnis zwischen Kunde und Institut“.

„Deutschland ist das einzige Land der G7, dass bislang keine gesetzliche Regelung bezüglich nachrichtenloser Konten hat“, sagt Grünen-Politiker Danyal Bayaz. Es sei für ihn unverständlich, dass das Finanzministerium diesen Missstand nicht beheben wolle. Norbert Walter-Borjans brachte das Thema 2016 als NRW-Finanzminister in die Öffentlichkeit. Er forderte damals auch ein öffentliches Register für die verwaisten Konten. Bisher ohne Erfolg.

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