Streik an deutschen Flughafen Arbeitskämpfe müssen das Gemeinwohl beachten

Meinung · Gewerkschaften haben Macht und damit Verantwortung – auch der Allgemeinheit gegenüber. Ob ein Streik im Luftverkehr noch verhältnismäßig ist, könnten demnächst auch Gerichte klären. Warum die Politik hier tätig werden muss.

Lufthansa-Streik NRW: So läuft der Streiktag an den Flughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn
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So lief der Streiktag an den Flughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn

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Foto: Christian Schwerdtfeger

Lufthansa hat an diesem Mittwoch fast alle Flüge in Frankfurt, München und Berlin gestrichen. In Zeiten, in denen Passagiere ohnehin oftmals stundenlang in Warteschlangen stehen müssen und am Ende den Flug dann doch verpassen, mutet der Warnstreik Verdis befremdlich an. Das Prinzip „Corporate Social Responsibiliy“ ist in aller Munde: Ein Unternehmen ist nicht nur den Eigentümern, nicht nur den Arbeitnehmern, sondern auch der Allgemeinheit verpflichtet. Doch eine soziale Verantwortung haben auch die Gewerkschaften. Ihre Gestaltungsmacht bringt Gestaltungsverantwortung mit sich. Dieser müssen Sie sich stellen – und zwar in all ihrem Tun.

Diese – auch rechtliche – Forderung kann ganz konkret werden. Die soziale Verantwortung der Gewerkschaften gegenüber der Allgemeinheit gebietet, Arbeitskämpfe soweit wie möglich zu vermeiden. Streik ist eine „scharfe Waffe“ hat das Bundesarbeitsgericht einmal gesagt. Er ist daher erst zulässig, wenn sie das letzte Mittel zur Erzielung eines Kompromisses sein können: „Arbeitskämpfe müssen unter dem obersten Gebot der Verhältnismäßigkeit stehen. Dabei sind die wirtschaftlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, das Gemeinwohl darf nicht offensichtlich verletzt werden“, stellte das Bundesarbeitsgericht in einer grundsätzlichen Entscheidung schon vor über einem halben Jahrhundert fest. Die Justiziabilität und Definition des Gemeinwohls ist ein Problem, das sich allgemein bei ausführungsbedürftigen Rechtsbegriffen stellt. Und dennoch darf man sich der Aufgabe nicht dadurch entziehen, dass man sie schlicht verneint. Wenn in Zeiten der Flughafenüberlastung ein solcher Streik zusätzliches Chaos liefert, dann ist die Frage nach der Gemeinwohlwidrigkeit legitim.

In ausländischen Rechtsordnungen kann ein solcher Streik im Transportgewerbe und gerade auch im Luftfahrtbereich schlicht untersagt werden – die USA und Frankreich sind hierfür prominente Beispiele. Die Möglichkeit, staatlicherseits eingreifen zu können, hat zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Arbeitskämpfe beigetragen, in die eben nicht eingegriffen wurde. Aber auch wenn man diesen einschneidenden Schritt nicht gehen will, ist verstärkt Augenmerk darauf zu richten, ob hier ein solcher Streik noch verhältnismäßig ist und ob nicht zumutbare Einschränkungen die Interessen der Allgemeinheit schützen können.

Es drängt sich die Frage nach einer möglichen Pflicht zum Schlichtungsversuch auf: Nur dann, wenn die Kontrahenten diesen Weg einmal durchschritten haben, und eine Einigung nicht zustande kommt, soll dem Kampf freie Bahn gegeben werden. Momentan haben wir solche gesetzlichen Regelungen noch nicht, auch wenn die Rechtswissenschaft hierzu schon Modelle erarbeitet hat. Es liegt seit einigen Jahren ein Professorenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Arbeitskampfs in der Daseinsvorsorge vor. Das anzupacken scheut die Politik noch, sie begnügt sich mit Appellen an die Kontrahenten zur Mäßigung.

Gerichte müssen hier allein gestützt auf die Koalitionsfreiheit des Grundgesetzes eigenständige Regeln entwickeln. Wer diese schwere Aufgabe nicht allein auf die Schulter der Richter legen will, wird ein Tätigwerden des Gesetzgebers erhoffen, der einen dieser Konflikte selber lösen sollte. Wenn nicht jetzt, wann dann? Leitlinie muss das Bewusstsein sein, dass Tarifautonomie und Gemeinwohl in einer engen Verbindung stehen, dass sie oftmals gleichgerichtet sind, aber in einigen Fällen doch in verschiedene Richtungen deuten. Das Ziel ist klar, jeder Schritt auf dem Weg dahin ist verdienstvoll.

Prof. Dr. Gregor Thüsing ist Rechtswissenschaftler an der Universität Bonn und Mitglied des Vorstands der Gesellschaft für Datensicherheit und Datenschutz (GDD).

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