Studie der Jobplattform Indeed Hauptschüler haben kaum Chancen auf eine Lehrstelle

Düsseldorf · Der Fachkräftemangel spitzt sich immer weiter zu, fast 70.000 Lehrstellen sind 2021/22 unbesetzt geblieben. Ein Problem: Nur wenige Branchen sind offen für Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss.

 Die meisten Azubi-Stellenanzeigen sind nicht an Hauptschüler gerichtet.

Die meisten Azubi-Stellenanzeigen sind nicht an Hauptschüler gerichtet.

Foto: dpa/Patrick Pleul

Obwohl die deutsche Wirtschaft dringend Nachwuchskräfte braucht, haben es Hauptschüler auf dem Arbeitsmarkt schwer. Die meisten Unternehmen suchen nach Auszubildenden, die mindestens die Realschule absolviert haben. Das zeigt eine Studie der Jobplattform Indeed: Sie analysierte mehr als 1,6 Millionen Stellenanzeigen für Lehrstellen zwischen Oktober 2018 und März 2023 und fand dabei heraus, dass im aktuellen Ausbildungsjahr nur rund 24 Prozent explizit an Menschen mit Hauptschulabschluss gerichtet sind.

Etwas mehr als 14 Prozent sprechen ausschließlich sie an, 9,4 Prozent adressieren auch andere Bildungsabschlüsse. Zwar sind die Arbeitgeber insgesamt schon etwas offener geworden: Im Bewerberjahr 2018/2019 lag der Anteil der Anzeigen, die sich nur an Hauptschüler richteten, noch bei 21 Prozent. Doch grundsätzlich hätten Hauptschüler noch immer die geringsten Möglichkeiten, eine Lehrstelle zu bekommen, sagt Sozialwissenschaftlerin Annina Hering. Sie ist bei Indeed zuständig für Arbeitsmarktanalysen und hat die Studie geleitet.

Doch warum schließen viele Unternehmen Hauptschüler von vornherein aus? Das liegt zum einen daran, dass immer mehr Menschen in Deutschland höhere Bildungsabschlüsse machen. Insgesamt gab es im Abschlussjahrgang 2021 laut Statistischem Bundesamt in Deutschland rund 770.000 Schulabsolventen, von ihnen hatten rund 264.000 das Abitur geschafft, 334.000 die Realschule absolviert und nur 122.000 die Hauptschule beendet. Deshalb sind die Erwartungen an die potenziellen Auszubildenden gestiegen. Zum anderen gibt es aber auch Vorurteile gegenüber Hauptschülern. Hering hat mit vielen Unternehmen darüber gesprochen, unter anderem Fielmann, Aldi Süd, Targo Bank, Westfleisch, Kind Hörakustik und einigen Mittelständlern. „Einige befürchten, dass Menschen mit Hauptschulabschluss weniger zuverlässig sind und Schwierigkeiten bei den Prüfungen haben könnten“, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Aus ihrer Sicht müsse man genau an diesen Punkten ansetzen, Nachhilfeprogramme und Prüfungsunterstützung etablieren, Coaching anbieten. Und: Hauptschüler müssten explizit in den Stellenanzeigen angesprochen werden. Ansonsten würden sie sich nicht darauf bewerben.

Realschüler haben mehr Glück – an sie waren rund 41 Prozent der untersuchten Stellenanzeigen adressiert. 25 Prozent schlossen (Fach-)Abiturienten mit ein, weitere 34 Prozent nannten keine schulischen Voraussetzungen. Letzteres bedeutet aber nicht, dass den Firmen der Schulabschluss gleichgültig wäre. „Erst habe ich das als ein Zeichen der Offenheit gewertet, doch bei genauerem Nachfragen haben sich ziemliche Unterschiede offenbart“, sagt Hering. Einige Berufsgruppen wie die Augenoptik seien besonders offen für Menschen mit Hauptschulabschluss, während die Hörakustik eher auf Abiturienten setze. Die Strategie, keinen Schulabschluss anzugeben, kann laut Hering auch zu Problemen führen. Bei den Fachkräften für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen zum Beispiel. Dort herrschen zwar akute Nachwuchsprobleme: Unterschrieben 2012 laut Statistischem Bundesamt rund 2800 junge Menschen in diesem Bereich einen Ausbildungsvertrag, waren es 2020 nur noch knapp 1600. „Und weil sie keine schulischen Voraussetzungen angeben, werden sie bei Suchanfragen, die den Schulabschluss mit einschließen, nicht gefunden“, sagt Hering.

Doch in welchen Branchen haben Hauptschüler eine Chance? Auf Platz eins landet der Gerüstbau – rund 74 Prozent aller Anzeigen richten sich ausschließlich an sie. Rang zwei belegen die Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk mit Schwerpunkt Bäckerei und Konditorei. In diesem Bereich sind rund die Hälfte der Stellenanzeigen auf Menschen mit Hauptschulabschluss fixiert. Ähnlich gut sieht es bei den Fachkräften in der Metalltechnik (47,5 Prozent), Verkäufern (41,9 Prozent) und Maschinen- und Anlagenführern (40,3 Prozent) aus. Wer offen für diese Berufe ist, kann schon jetzt als Hauptschulabsolvent einen Platz finden.

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