Ungerechte Hartz-IV-Nachfolgeregelungen Die Union liegt richtig – Korrekturen beim Bürgergeld sind nötig

Meinung | Berlin · Am deutschen Föderalismus scheiden sich oft die Geister, aber in diesem Fall erweist er sich als vorteilhaft: Die Mehrheit der Bundesländer hat dem Gesetzentwurf der Ampel-Regierung zur Einführung des Bürgergelds an diesem Montag im Bundesrat nicht zugestimmt. Und das ist auch gut so.

Der Schriftzug „Bürgergeld“ ist auf der Homepage des Bundesarbeitsministeriums zu lesen (Symbolfoto).

Der Schriftzug „Bürgergeld“ ist auf der Homepage des Bundesarbeitsministeriums zu lesen (Symbolfoto).

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Denn die Regelungen zur Ablösung des Hartz-IV-Systems haben, in ihrer Gesamtheit betrachtet, eine auch von den meisten Bürgern empfundene Schieflage: Sie bringen das einigermaßen austarierte System des Forderns und Förderns aus dem Gleichgewicht – zu Gunsten derer, die unterstützt werden wollen und sollen und zu ungunsten derer, die den Sozialstaat mit ihren Steuern finanzieren. 58 Prozent der Befragten bewerteten das Bürgergeld im jüngsten ZDF-„Politbarometer“ als „eher schlecht“.

Es ist folgerichtig, wenn nun unionsgeführte Länder eine Korrektur herbeiführen wollen. Im Vermittlungsverfahren von Bundestag und Bundesrat geht es um zügige Verhandlungen, damit Kompromisse möglichst bis Ende November erzielt werden und der Gesetzentwurf wie geplant noch zum Jahresbeginn umgesetzt werden kann. Doch Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Sollten die Verhandlungen länger dauern müssen, ist das kein Beinbruch. Die Erhöhung der Regelsätze zum 1. Januar 2023 könnte auch rückwirkend gelten. Und die übrigen Verbesserungen für Bürgergeld-Empfänger könnten auch schrittweise eingeführt werden, wie es der Gesetzentwurf der Bundesregierung ohnehin in weiten Teilen auch bereits vorsieht. Die Job-Center der Arbeitsagenturen sind wegen der kurzen Frist bis Jahresende nach eigener Auskunft ohnehin kaum in der Lage, die Pläne noch rechtzeitig umzusetzen.

Die drastische Erhöhung des Schonvermögens, das Leistungsberechtigte nicht antasten müssen, wird in weiten Teilen der Bevölkerung als ungerecht empfunden. Dem muss sich die Politik stellen. Es kann nicht sein, dass eine vierköpfige Familie bis zu 150.000 Euro Privatvermögen nicht verwerten muss, wenn sie das Bürgergeld bezieht. Einen Kompromiss mit geringeren Beträgen zu finden, dürfte Bund und Ländern nicht schwerfallen. Das bisherige Schonvermögen könnte erhöht werden, aber nicht so deutlich wie geplant.

Ebenso könnte die Prüfung der Angemessenheit einer Wohnung nicht in den ersten beiden Jahren des Bezugs ausgesetzt werden, sondern für einen deutlich kürzeren Zeitraum. Es ist eine Farce, wenn ein Bürgergeld-Bezieher über Jahre – denn die Prüfung wurde bereits zu Beginn der Corona-Pandemie ausgesetzt – weiterhin große Wohnungen mit 100 Quadratmetern oder mehr bewohnen darf, während sich die Krankenschwester, die Kassiererin oder der Lagerist allenfalls eine 50-Quadratmeter-Wohnung leisten können.

Nicht nachvollziehbar ist auch der fast vollständige Verzicht auf Sanktionen bei Regelverstößen im ersten Halbjahr des Bezugs. Gerade zu Beginn sollten die Bezieher lernen, dass die Sozialleistung von ihnen eine Gegenleistung erfordert, dass auch sie Teil einer Solidargemeinschaft sind. Die so genannte Vertrauenszeit gehört daher komplett aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Dagegen ist die Anhebung des Regelsatzes um rund 50 Euro pro Monat wegen der hohen Inflation gerechtfertigt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort