Düsseldorf Mein Fernseh-Programm bestimme ich

Düsseldorf · Mit der neuen Box Apple TV verschwindet das klassische Senderangebot. Die Art, wie wir fernsehen, wird revolutioniert.

Apple präsentiert iPhones und neues Apple TV
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Foto: ap, SCM ER

Wer früher den Großmeister des Late Night Talks erleben wollte, der musste lange aufbleiben. Um 23.15 Uhr begann die Harald Schmidt-Show auf Sat.1, um 00:15 Uhr war Schluss. Die Sat.1-Show ist inzwischen Geschichte, Harald Schmidt in einer Art Vorruhestand. Die Fans des heutigen Harald Schmidt, Satiriker Jan Böhmermann, sind weniger kompromissbereit, was Sendebeginn und -ende angeht. "Wir hatten 50.000 Zuschauer bei ZDFKultur und 300.000 in der Mediathek", hat Jan Böhmermann mal in einem Interview über eine frühere Show gesagt. Bei seiner aktuellen Sendung "Neo Magazin Royale" dürfte es in vielen Fällen ähnlich sein: Eingeschaltet wird, wann der Zuschauer will - über die Mediathek.

Die Zeiten des linearen Fernsehens, in denen eine Gruppe Programm-Manager vorgab, dass der Zuschauer nachmittags Talkshows oder Kochsendungen und abends Spielfilme sehen muss, nähern sich dem Ende. Längst gibt es durch das Internet Alternativen - und immer mehr Anbieter bringen Geräte auf den Markt, um diese möglichst komfortabel zugänglich zu machen.

Wohin die Entwicklung geht, konnte man am Mittwoch in San Francisco bestaunen. Dort präsentierte der Technikkonzern Apple die neue Version seiner Fernseh-Box Apple TV. Mit ihr soll man künftig nicht nur Zugriff auf das Filmangebot von Apples Angebot iTunes haben, sondern auch auf eine Vielzahl anderer Apps. Ähnliche Angebote gibt es längst auch vom Online-Händler Amazon und dem Suchmaschinen-Betreiber Google.

Wohin die Entwicklung geht, ist absehbar: Wo es früher Fernsehsender gab, werden die Zuschauer künftig zwischen verschiedenen Angeboten in Mediatheken und von Online-Streaming-Diensten wie Netflix, Amazon Prime Instant Video oder Maxdome auswählen. Per Knopfdruck lassen sich Sendungen und Filme anhalten und vorspulen, Sprachen wechseln und parallel Informationen zu Darstellern abrufen. Und wer keine Lust auf Filme oder Serien hat, nutzt den Fernseher als Spielekonsole, Nachrichtenseite oder Online-Shop.

Alles, was früher per Internet über den PC möglich war, ist heute längst über das Smartphone machbar -und morgen über den Fernseher. Die Auswirkungen sind gravierend: Wozu braucht es noch Fernsehzeitungen, wenn der Fernseher per Sprachsteuerung nach Tipps befragt werden kann? Apple TV bietet diese Funktion mit Siri künftig an. Was bedeutet es für die Werbeindustrie, wenn immer mehr Menschen ein Abo bei einem Streaming-Anbieter abschließen - und dafür Programm ohne Werbeunterbrechung erwarten?

Umgekehrt ergeben sich natürlich auch ganz neue Möglichkeiten, wenn der Fernseher permanent mit dem Internet verbunden ist. Schon heute ist es möglich, bei den so genannten Smart TVs Werbung einzublenden, die sich am Wohnort des Kunden orientiert. Da erscheint dann beim Auto-Werbespot ein Hinweis, wo der nächste Händler zu finden ist. Das kann praktisch sein für Kunde und Konzern.

Wenn alles individueller wird, sich mehr am einzelnen Zuschauer ausrichtet, ergeben sich auch ganz neue Geschäftsmodelle für junge Unternehmen. Der weltweite Streaming-Marktführer Netflix bietet erst seit 2007 seine Videos zum Online-Abruf an. Inzwischen produziert der Dienst eigene Serien speziell für seine Abonnenten und Nutzer.

Produziert werden sie nach dem Geschmack der Zuschauer. Dazu wertet Netflix Millionen von Daten aus, um präzise den Geschmack der eigenen Kunden vorhersagen zu können. Die mehrfach preisgekrönte Serie "House of Cards" mit Oscar-Preisträger Kevin Spacey war der erste Versuch. Seitdem gab es viele weitere. Je mehr Daten der Dienst erfasst, umso präziser sind die Empfehlungen für den Zuschauer. Und spätestens da sollte man sich fragen, wer nun genau das Programm bestimmt: Man selbst oder der Fernseher?

(frin)
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