Stuttgart Anton Schlecker bleibt frei - Kinder in Haft

Stuttgart · Die zweijährige Gefängnisstrafe gegen den Patriarchen wird zur Bewährung ausgesetzt. Ein wichtiger Grund: die Höhe des Schadens.

Das Urteil im Schlecker-Prozess ist für viele eine Überraschung. Anton Schlecker, der Gründer der Drogeriemarktkette und die zentrale Figur im Prozess vor dem Landgericht Stuttgart, kommt mit einer zweijährigen Bewährungs- und einer Geldstrafe von 54.000 Euro wegen vorsätzlichen Bankrotts in vier Fällen davon. Er bleibt damit ein freier Mann. Seine Kinder Lars und Meike dagegen werden zu Haftstrafen von zwei Jahren und neun Monaten beziehungsweise zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Sie müssen ins Gefängnis.

Was macht den Unterschied zwischen Vater auf der einen sowie Tochter und Sohn auf der anderen Seite? Die Entscheidung in der Causa Schlecker hat vor allem mit der Schadenhöhe zu tun. Auf drei Millionen Euro hat das Gericht zuletzt den noch anrechenbaren Schaden beziffert, fünf Millionen hat Anton Schlecker aber zurückgezahlt - also quasi mehr gegeben, als er materiell kaputt gemacht hat.

Jedenfalls formal. Das klingt trotzdem wie ein Hohn angesichts der Pleite, deretwegen mehr als 25.000 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verloren, von denen viele heute noch keinen Job haben. Aber es ist in der juristischen Logik konsequent. Bei Tochter und Sohn ging es um einen materiellen Schaden, der doppelt so hoch war, es ging um mehr Einzeldelikte (verurteilt wurden sie wegen Untreue, Insolvenzverschleppung, Bankrott und Beihilfe zum Bankrott). Die sieben Millionen Euro, die sie sich vorzeitig als Gewinn aus der von ihnen geführten Schlecker-Logistiktochter LDG haben auszahlen lassen - zu einem Zeitpunkt, als es der LDG bereits schlecht ging - war einer der Hauptgründe für die Verurteilung. Die niedrigste Einzelstrafe, aus der sich die Gesamtstrafe zusammensetzt, hätte bei Lars und Meike Schlecker laut Gericht bei zwei Jahren und sechs Monaten gelegen. Da war kein Raum mehr für Bewährung.

Auch dass Anton Schlecker vor der Insolvenz strafrechtlich fast nie auffiel, haben die Richter positiv gesehen. Einmal, Ende der 90er Jahre, sind er und seine Frau Christa zwar verurteilt worden, weil sie Mitarbeitern vorgegaukelt hatten, sie würden nach Tarif bezahlt. Zehn Monate Haft auf Bewährung und eine millionenschwere Geldstrafe wegen Betrugs - das war damals das Urteil. Das hat aber aus Sicht des Gerichts an der Bewährungsfähigkeit der jetzigen Strafe nichts geändert.

Anton Schlecker bleibt also ein freier Mann. Einer, der bis zuletzt in seiner unfassbaren Beratungsresistenz davon überzeugt war, Kundenverhalten würde sich nie ändern. Der sich beharrlich weigerte, auf sinkende Umsätze mit Modernisierung von Filialen zu reagieren; der glaubte, Umsatzsteigerungen durch die Eröffnung immer neuer Niederlassungen seien ein Allheilmittel gegen den drohenden Kollaps eines Imperiums, in dem sich die Machthaber viel zu lange auf den Erfolgen der fernen Vergangenheit ausruhten. Anton Schlecker, dieses Bild ist im Gerichtssaal noch einmal gezeichnet worden, stellte die eigene Familie über alles. Er sah sich selbst bei allem, was er tat - und vor allem der Belegschaft zumutete - immer im Recht. Ein Mann, der selbst dann noch an ein "Irgendwie weiter" glaubte, als die Banken kein Geld mehr gaben, die Mittel für eine Sanierung längst fehlten und gerade noch mal sieben Millionen Euro in der Kasse waren.

Während Anton und Christa Schlecker weiter in Freiheit leben, müssen der sture Patriarch und seine Frau (gegen sie war das Verfahren im Mai eingestellt worden) ihre Kinder künftig im Gefängnis besuchen. Letzteres ist gestern im Gerichtssaal mit Beifall bedacht worden, während das Urteil gegen Anton Schlecker auf Unverständnis gestoßen ist. Das gilt vor allem für jene, die wegen der Pleite ihren Arbeitsplatz verloren. Der Groll von großen Teilen der Belegschaft gegen die Familie ist nicht nur wegen der Insolvenz so groß, sondern auch, weil die Schleckers aus der Geringschätzung für die Mitarbeiter nie wirklich ein Hehl gemacht haben. Ein Unternehmer, der Telefone in den Filialen verbietet und Beschäftigte systematisch überwachen lässt, ist wohl an einem gedeihlichen Miteinander von Chef und Untergebenen nicht übermäßig interessiert.

Deshalb bleibt wohl das unerfüllt, was sich die frühere Betriebsratsvorsitzende Christel Hoffmann während des Prozesses gewünscht hatte: "Ich würde mir eine aufrichtige Entschuldigung von Herrn Schlecker wünschen, nicht nur eine Äußerung des Bedauerns." Das ist bisher nicht erfolgt. Und genauso unbefriedigend ist es, dass die meisten Gläubiger (es gibt offene Forderungen von rund 30 Millionen Euro) am Ende wohl leer ausgehen. Das Paradoxe: Gerade die Tatsache, dass bei etlichen Millionen die Geldgeber wohl in die Röhre schauen, hat das Urteil im Strafprozess beeinflusst: Die Vermögensverschiebungen im festgestellten Umfang seien angesichts der offenen Forderungen für die Insolvenz des Schlecker-Unternehmens nicht ursächlich gewesen, teilte das Gericht mit.

(RP)
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