Schwerpunkt Wirtschaftsgipfel Angela Merkel bei G20 isoliert

Beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer im mexikanischen Los Cabos ist Kanzlerin Merkel umzingelt von ausgabefreudigen Staatschefs. Die deutsche Regierungschefin soll mit Konjunkturpaketen die Weltwirtschaft stützen.

Los cabos Temperatur: 28 Grad im Schatten. Nachts. Das sind die Bedingungen, unter denen sich die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer gestern und heute im mexikanischen Badeort Los Cabos an der Pazifikküste zum Gipfel treffen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Montagfrüh mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) aus Berlin anreiste, dürfte auch in den klimatisierten Konferenzräumen eingeheizt worden sein. Denn die übrigen Staatenlenker verlangen von der deutschen Regierungschefin nichts weniger als die Rettung der Euro-Krise und die Ankurbelung der Weltwirtschaft. Dafür, so die einhellige Meinung von US-Präsident Barack Obama bis zu Chinas Staatschef Hu Jintao, müsse Merkel mehr tun, notfalls auch schuldenfinanzierte Programme fahren. Deutschland, der Motor der europäischen Wirtschaft, soll mehr Geld in die Hand nehmen, um die Euro-Krise zu lösen.

Die Nervosität ist groß, das Wort von der "weltweiten Rezession" macht die Runde. Selbst Boomländer wie Brasilien, Indien und China spüren die Flaute. Die Frachtzahlen der großen Container-Reeder und der Airlines, für gewöhnlich ein guter Indikator für das Tempo des Welthandels, brechen ein. "Die Welt ist in Schwierigkeiten", warnte Indiens Ministerpräsident Manmohan Singh vor dem Treffen: "Ich hoffe, die G20 machen konstruktive Vorschläge, um die Welt aus dieser Krise zu bekommen."

Vor allem die deutsche Bundeskanzlerin dürfte Singh damit gemeint haben. "Alle denken, wir sind der Schlüssel zur Rettung der Weltwirtschaft", beschrieb ein deutsches Regierungsmitglied die Erwartungen vor der Reise. Eigentlich soll es in dem von Militärs abgeriegelten Luxusbadeort um ökologisches Wachstum, Freihandel, Jugendarbeitslosigkeit und Armutsbekämpfung gehen. Erstmals findet ein G20-Treffen in einem Schwellenland statt, alleine das sollte den Charakter eines Miteinanders zwischen alten Industriestaaten und neuen, aufstrebenden Ländern deutlich machen.

Doch die Gespräche der Kanzlerin, unter anderem mit Mexikos Präsident Felipe Calderon, Chinas Präsident Hu Jintao, einer Delegation internationaler Gewerkschafter und US-Präsident Barack Obama drehten sich dann doch — mal wieder — um die europäische Staatsschuldenkrise. Merkel wollte dabei von ihren Positionen zur Bekämpfung der Krise nicht abrücken — Strukturreformen in den südeuropäischen Schuldenstaaten, Nein zu Ausgabenprogrammen auf Pump, und eine schrittweise stärkere politische Integration Europas.

Den übrigen 19 Staatschefs, inklusive den EU-Partnern Francois Hollande (Frankreich), Mariano Rajoy (Spanien), David Cameron (Großbritannien) und Mario Monti (Italien), ist das zu wenig. Hollande, Rajoy und Monti verlangen Euro-Bonds, gemeinschaftliche Anleihen, für die vor allem Deutschland mit seiner Bonität haften müsste. Italien will Extra-Hilfen für den Mittelstand, Großbritannien verlangt Konjunkturspritzen aus dem EU-Etat. Und US-Präsident Obama dringt seit Wochen auf ein rasches Konjunkturpaket und eine stärkere Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB), um die Wirtschaft in den Krisenländern zu unterstützen und die Finanzmärkte zu beruhigen. Nur wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen schwächelt die US-Ökonomie, das schmälert Obamas Wiederwahlchancen. Sein Kalkül: Wenn die EU-Staatschefs das Abgleiten des Kontinents in die Rezession verhindern können, dann profitieren auch die USA. Die USA und die EU sind die größten Volkswirtschaften der Welt, der bilaterale Handel beträgt 500 Milliarden Euro, fast ein Drittel des Welthandels. Trotz des Booms in den Schwellenländern ist es immer noch so: Wenn Europa hustet, bekommt Amerika eine Grippe und umgekehrt. Deswegen setzt Obama auf Merkel, empfängt sie immer wieder zu bilateralen Gesprächen. Doch Merkel will auch in Mexiko hart bleiben und staatliche Konjunkturprogramme ablehnen. Man könne die Schuldenkrise nicht mit Schulden bekämpfen, lautet ihre Losung. Gerne verweist sie auf einen Bericht der Weltbank, der die vergangenen Strukturreformen in Deutschland lobt.

Für die Abschlusserklärung des Gipfeltreffens erwarten Beobachter eine typische Kompromissformel. Defizitreduzierung auf der einen, gezielte Nachfrageimpulse auf der anderen Seite. Merkels Gegner bei den G20 dürften den Gipfel enttäuscht verlassen. Und vielleicht an das britische Wirtschaftsmagazin "Economist" denken, das die Gefühlslage neulich auf den Punkt brachte. Das Magazin zeigte auf der Titelseite einen im Meer absaufenden Öl-Tanker mit dem Schriftzug "Weltwirtschaft". Aus dem Maschinenraum ertönt der verzweifelte Ruf: "Frau Merkel, dürfen wir jetzt die Maschinen anwerfen?"

(RP/jh-)
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