Berlin Alle wollen von Atomsteuer profitieren

Berlin · Aktionäre hoffen auf einen Schub für die Dividende, die Konzerne wollen die Bilanzen stärken. Und die Linken wollen, dass die Milliarden zusätzlich in den Atomfonds fließen. Zugleich fragt man sich: Wie konnte Schäuble das passieren?

Einen Tag nach dem Atom-Urteil hält die Freude der Aktionäre an. Die RWE-Aktie legte gestern bis zu drei Prozent auf ein Zwei-Jahres-Hoch von 20,13 Euro zu. Die Eon-Aktie kletterte auf 8,70 Euro und notierte so hoch wie seit 2015 nicht mehr. Beide hatten bereits am Vortag mehr als fünf Prozent gewonnen. Auch die EnBW-Aktie zog an. Das Verfassungsgericht hatte zuvor geurteilt, dass die seit 2011 vom Bund erhobene Brennelemente-Steuer verfassungswidrig ist. Die drei Konzerne können sich auf eine Rückzahlung inklusive Zinsen von sieben Milliarden Euro freuen. Und das weckt Begehrlichkeiten.

Bei RWE warten die kommunalen Aktionäre, die 25 Prozent am Konzern halten, sehnsüchtig auf eine Rückkehr der Dividende. Grundsätzlich kann RWE das Geld zur Senkung der Milliaden-Schulden, zur Sicherung der Ausschüttung oder für Investitionen nutzen. Das muss nun der Vorstand entscheiden und mit den Kontrolleuren beraten. Insgesamt 1,9 Milliarden Euro muss Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble allein RWE erstatten. Womöglich kommt ein Teil davon den Kommunen direkt zugute: Es kann sein, dass die Konzerne auf die außerordentlichen Gewinne, die die Erstattung bedeutet, Gewerbe- und ander Steuern zahlen müssen.

Auch bei Eon wird nun geprüft, wie man die 3,3 Milliarden Euro verwenden will. "Den Rückfluss der nicht verfassungskonform erhobenen Steuern wird Eon verwenden, um die Bilanz des Unternehmens zu stärken", erklärte der Konzern. Um die zeitweise auf zwei Prozent gefallene Eigenkapitalquote zu erhöhen, hatte Eon unlängst eine Kapitalerhöhung vorgenommen. "Jetzt glauben wir daran, dass Eon bis 2018 eine starke Kapitalstruktur haben wird", erklärte Goldman Sachs und hob das Kursziel auf 9,60 Euro an.

Doch auch im politischen Raum macht der Milliarden-Segen erfinderisch. Linken-Chefin Katja Kipping und BUND forderten, dass die Konzerne die Milliarden zusätzlich in den Fonds zur Atommüll-Entsorgung einzahlen sollen. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte, die Bundesregierung müsse sich jetzt "beeilen, die Atomkonzerne so nicht davonkommen zu lassen".

Derweil fragt man sich in Berlin, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Wieso formulierte ausgerechnet Wolfgang Schäuble vor sechs Jahren ein handwerklich so schlampiges Gesetz? Die Richter hatten vor allem moniert, dass der Bund (anders als behauptet) keine übliche Verbrauchsteuer erhoben, sondern einfach eine neue Steuer erfunden habe. Und das erlaubt das Grundgesetz nun mal nicht.

Einer der Beteiligten erinnert sich, dass die Frage, ob das Projekt verfassungsfest sei, damals nur am Rande kurz angesprochen worden sei. Der Hinweis habe gereicht, dass sowohl die Experten im Finanz- als auch die im Justizministerium keinerlei Bedenken sahen, diese neue Steuer einzuführen. Keinen Verstoß gegen EU-Recht attestierte auch Professor Stefan Homburg. In Schweden gebe es eine Steuer auf Brennelemente bereits seit den 1980er Jahren. Zudem müsse sich eine Verbrauchsteuer nicht auf den Endverbraucher beziehen, erläuterte er im Oktober 2010 den Abgeordneten.

Union und FDP hatten sich im Koalitionsvertrag von 2009 auf eine Laufzeitverlängerung für die deutschen Kernkraftwerke verständigt und dafür im Gegenzug von den Konzernen einen "Vorteilsausgleich" haben wollen. Im Herbst 2010 stand das Konzept, das nach Erinnerung der Beteiligten "ganz oben" entwickelt worden war. Schwarz-Gelb musste das Projekt zwar alleine durch den Bundestag bringen. Das Nein der Opposition von SPD, Grünen und Linken bezog sich aber auf Details. Die SPD nannte die Brennelementesteuer sogar "grundsätzlich sinnvoll" und lehnte das Gesetz nur ab, weil ihr die Besteuerung von 145 Euro je Gramm Brennstoff als zu niedrig erschien. Sie wollte die Steuer länger als geplant erhoben sehen.

Der damalige Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sagte unserer Redaktion gestern: "Ich persönlich habe mich bei dieser Steuer nie recht wohlgefühlt." Die Argumentation des Gerichts sei "zu respektieren und nachvollziehbar".

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort