Karlsruhe Alle schauen heute auf Voßkuhle

Karlsruhe · Als das Bundesverfassungsgericht 1951 seine mit bahnbrechenden Entscheidungen gespickte Arbeit aufnahm, war Andreas Voßkuhle noch nicht geboren. Heute ist es der 48-jährige gebürtige Detmolder und juristische Überflieger Voßkuhle, der eine schon jetzt als historisch bezeichnete Entscheidung verkünden wird. Der federführende Verfassungsrichter – in der Sprache des höchsten Gerichts: der Berichterstatter – in dem Verfahren zum Erlass einer Einstweiligen Anordnung ist zwar nicht Voßkuhle, sondern dessen Kollege Peter Michael Huber; aber Voßkuhle verliest als Vorsitzender des Zweiten Senats den Urteilstenor, der sodann um die Welt gehen wird.

Wer den lang aufgeschossenen, meist freundlich-konzentriert dreinschauenden Voßkuhle sieht und hört, kommt nicht sofort darauf, dass hier jemand nicht nur erhebliche Amtsautorität besitzt, sondern auch wirkliche Macht über das Verfassungsrechtliche hinaus hat. Denn der parteilose Mann, der 2008 an der Universität Freiburg jüngster Rektor gewesen war, bevor er im selben Jahr auf Vorschlag der SPD ans Bundesverfassungsgericht gewählt wurde, ist seit zwei Jahren auch dessen Präsident. Roman Herzog, einer von Voßkuhles Vorgängern als Gerichtspräsident, ließ sich 1994 zum Bundespräsidenten wählen, was einen Bekanntheitssprung und zugleich einen Machtschwund bedeutete. Voßkuhle jedoch gab zum Jahresbeginn der Kanzlerin einen Korb und lehnte deren Offerte ab, von Karlsruhe, der Residenz des Rechts, ins politische Oberstübchen der Republik an die Spree zu wechseln.

Da das Bundesverfassungsgericht mehr ist als ein Gericht, nämlich Verfassungsorgan wie Bundespräsident, Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat, ist Gerichtspräsident Voßkuhle auf Augenhöhe in der Beletage des Staates. Was die juristisch-politischen Einflussmöglichkeiten angeht, gilt für den ersten Repräsentanten des mächtigen Gerichts, dem er noch acht Jahre angehören wird (die Richter werden auf zwölf Jahre ohne Verlängerungsmöglichkeit gewählt) der alte Juristenspruch: Über den je acht Richterinnen und Richtern der beiden Senate wölbt sich nur noch der blaue Himmel.

Voßkuhle, ob nun als Präsident oder als Vorsitzender des Zweiten Senats, hat jedoch bei den Beratungen, die jeder Entscheidung vorausgehen, keine den Ausschlag gebende Stimme. Die Macht liegt beim Richterkollektiv, oder, wie es Präsidentin a.D. Jutta Limbach einst formulierte: "Die Macht ist bei den Acht". Indes: Auf den mit einer Freiburger Landgerichts-Vizepräsidentin kinderlos verheirateten Voßkuhle, beziehungsweise den "Voßkuhle-Senat" schauen heute die Politik in Berlin und Brüssel, das Land sowie die (Finanz-)Welt.

(RP)
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