Athen Tsipras will 279 Milliarden Euro

Athen · Erstmals nennt die griechische Regierung eine konkrete Höhe für Entschädigungsforderungen gegenüber Deutschland. Mehr als 90 Prozent der Griechen unterstützen das Vorgehen ihres Premiers.

Alexis Tsipras - selbsternannter Retter Griechenlands
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Das ist Alexis Tsipras

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Foto: dpa, sp ase tba

Bevor der griechische Premier Alexis Tsipras gestern Abend in Richtung Moskau startete, haute er noch einmal verbal richtig auf die Pauke: Fast 279 Milliarden Euro fordert die Regierung von Deutschland, als Wiedergutmachung für Gräuel und Zerstörungen, die deutsche Besatzer im Zweiten Weltkrieg angerichtet haben. Vize-Finanzminister Dimitris Mardas bezifferte die Ansprüche in einer Parlamentsdebatte über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der den Ursachen der griechischen Krise nachgehen soll. Schauprozesse gegen Mitglieder früherer Regierungen könnten folgen. Die Moskau-Reise, die Reparationsforderungen und die Suche nach den Schuldigen für die Schuldenkrise haben einen gemeinsamen Nenner: Es sind politische Schachzüge, die vor allem das heimische Publikum beeindrucken sollen. Tsipras' Taktik ist riskant: Er strapaziert die ohnehin gespannten Beziehungen zu den europäischen Partnern und Geldgebern.

Das Thema der deutschen Reparationen wird in Griechenland seit Jahrzehnten diskutiert. Aber bisher hat kein Athener Regierungschef die Reparationsfrage politisch so bedenkenlos instrumentalisiert wie Tsipras. Das begann am ersten Tag: Minuten nach seiner Vereidigung ließ sich Tsipras zu einer Gedenkstätte für Nazi-Opfer im Athener Stadtteil Kesariani fahren, wo er vier rote Rosen niederlegte. Auch in seiner Regierungserklärung ging er ausführlich auf die Reparationsfrage ein - in Griechenland ein populäres Thema: Über 90 Prozent der Bevölkerung unterstützen die Forderung. Im März setzte das Parlament einen Untersuchungsausschuss ein, der die Ansprüche und ihre Durchsetzung prüfen soll. Er stützt sich auf eine Studie des griechischen Rechnungshofes, die bereits 2013 abgeschlossen und als "geheim" eingestuft wurde, bis eine griechische Zeitung sie vor vier Wochen veröffentlichte. Darin werden die Gesamtforderungen auf 269 bis 332 Milliarden Euro beziffert. Der griechische Justizminister Nikos Paraskevopoulos drohte vergangenen Monat damit, er werde deutsche Liegenschaften in Griechenland zwangsversteigern lassen, wenn Berlin nicht zahle. Sollte die Bundesrepublik die Forderungen erfüllen, wäre Griechenland seine Staatsschulden auf einen Schlag los - eine verlockende, aber keine sehr realistische Vorstellung. Denn Berlin betrachtet die Reparationsfrage als erledigt.

Um Geld, wenn auch keine dreistelligen Milliardenbeträge, geht es auch bei Tsipras' Besuch in Moskau, wo er bereits heute Wladimir Putin trifft. Im Kreml will der griechische Premier über Rabatte für russische Gaslieferungen verhandeln - Griechenland bezieht zwei Drittel seines Bedarfs vom Staatskonzern Gazprom. Im Gespräch ist auch eine griechische Beteiligung am russisch-türkischen Pipelineprojekt Turkish Stream. Die Leitung soll russisches Erdgas durch das Schwarze Meer in die Westtürkei bringen und könnte über Griechenland auf den Balkan verlängert werden. Auf Tsipras' Wunschzettel stehen auch Handelserleichterungen: Athen wünscht sich ein Ende des Importstopps für griechische Agrarprodukte - Russland hatte die Sperre als Reaktion auf die EU-Sanktionen verhängt. Tsipras hatte die Sanktionen bereits vor seiner Abreise nach Moskau als "sinnlos" und als "Sackgasse" kritisiert. Im Kreml wird man es gern gehört haben. Ob auch über einen russischen Hilfskredit für das nahezu zahlungsunfähige Griechenland gesprochen wird, ist ungewiss. Zwar ist Russland selbst knapp bei Kasse, aber wenn sich die Chance bietet, einen Keil in die EU und die Nato zu treiben, könnte sich Putin das einen Kredit kosten lassen. Als Dankeschön müsste Tsipras die Verlängerung der Sanktionen in der EU mit seinem Veto blockieren.

Damit würde Tsipras sein Land zwar in der EU noch weiter isolieren. Aber viele Griechen würden ihm wohl applaudieren: Laut Umfragen hegen nur noch 23 Prozent positive Gefühle für die EU. Russland dagegen sind 63 Prozent der Griechen wohlgesonnen.

(RP)
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