AKW Tihange Atomaufsicht schlägt Alarm

Brüssel/Berlin · Die belgische Behörde nennt den Brandschutz in Tihange und Doel desaströs. Daraus ergäben sich "alarmierende Wahrscheinlichkeitswerte für einen Unfall". Bund und Land fordern die Abschaltung der Meiler.

AKW Tihange: Atomaufsicht schlägt Alarm
Foto: dpa, obe fdt

Die Pannenmeiler Tihange und Doel machen immer wieder Schlagzeilen wegen Notabschaltungen oder Haarrissen in den Druckbehältern. In der Region Aachen haben viele Angst vor einem Atomunfall. Nun zeigt sich auch der Chef der belgischen Atomaufsichtsbehörde AFCN, Jan Bens, besorgt. Er ist höchst verärgert über die Nachlässigkeit, mit der der Stromkonzern Electrabel mit Risiken umgeht. Das geht aus zwei Schreiben hervor, die Bens an Electrabel-Chef Philippe Van Troeye und Aufsichtsrats-Chefin Isabelle Kocher geschrieben hat.

Bens äußert in den Briefen, die die belgische Zeitung "La Libre Belgique" veröffentlichte, Sorge über die mangelnde "Sicherheitskultur in Ihrem Unternehmen". Eine Brandsicherheitsstudie hatte im April "alarmierende Wahrscheinlichkeitswerte für eine Kernfusion" ergeben - also den größten anzunehmenden Unfall (Gau) in einem Reaktor. Bens spricht von "vollkommen desaströsen Ergebnissen hinsichtlich des Brandrisikos".

Trotzdem hätte der Electrabel-Konzern die Studie auf die leichte Schulter genommen und in einem Antwortpapier die Werte "pragmatisch" nach unten korrigiert, weil er die Studie für unrealistisch hält. Diese laxe Haltung mache deutlich, wie wenig sich der Betreiber für Verbesserungen der Sicherheit interessiere, schreibt Bens. Er habe "Zweifel am Willen von Electrabel, die Probleme schnell zu beseitigen". Weil aber auch seine Behörde zum Schluss gekommen sei, dass das schlechte Resultat der Brandschutzstudie teilweise auf schlechter Methodik und nicht auf tatsächliche Mängel der Anlagen zurückzuführen sein könnte, räumte Bens Electrabel eine Frist bis Ende 2017 zur Nachbesserung ein.

Doch im September wandte sich die Atomaufsicht erneut mit einem Brandbrief an die Electrabel-Spitze, diesmal mit Bezug auf Tihange. Im August hatte die AFCN dort zwei unangekündigte Inspektionen durchgeführt und war erneut auf Mängel gestoßen. Sie betrafen die Organisationsstruktur und den Personalbestand, insbesondere im Block 2. Dort, so notierten die Inspektoren, würden die Schichten seit einigen Monaten statt, wie vorgesehen mit fünf, nur mit drei bis vier Mitarbeitern gefahren. Außerdem sieht Bens das "schwierige Betriebsklima" kritisch. Diese Probleme könnten mittelfristig "die Gewährleistung eines befriedigenden Sicherheitsniveaus im Atomkraftwerk Tihange gefährden". Erneut beklagt der Behördenchef "die von Electrabel an den Tag gelegte Unfähigkeit, das Sicherheitsniveau durch strukturelle, schnelle und effiziente Maßnahmen signifikant zu heben."

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks ist entsetzt. "Es geschieht nicht alle Tage, dass die zuständige Aufsichtsbehörde einen AKW-Betreiber auffordert, Mängel in der Sicherheitskultur und in der Organisationsstruktur des Unternehmens zu beseitigen", sagte die SPD-Politikerin unserer Redaktion. Dass die AFCN von Lässigkeit des Betreibers bei der Sicherheit spreche, sei gravierend. "Das ist für mich ein klares Zeichen von mangelnder Sicherheitskultur, das nicht ohne Konsequenzen bleiben kann. Die nötigen Schlussfolgerungen kann allerdings niemand anderes treffen als die belgische Aufsichtsbehörde." In der Vergangenheit hatte Hendricks bereits die Abschaltung der Pannenmeiler gefordert.

Oliver Krischer, Grünen-Fraktionsvize, warnte: "Die Äußerungen der Atomaufsicht müssen ein Weckruf für die Bundesregierung sein, wo alle Aktivitäten in Richtung Belgien zur Stilllegung von Tihange und Doel mal wieder eingeschlafen sind." NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) forderte den Bund auf, die Abschaltung durchzusetzen: "Die Bundesregierung muss sich jetzt - und hier ist die Bundeskanzlerin persönlich gefragt - bei der belgischen Regierung so verwenden, dass das endgültige Abschalten der Bröckelreaktoren jetzt erreicht wird." Zuvor hatten WDR und "Süddeutsche" berichtet, dass Doel und Tihange zu den 18 Meilern in Europa gehören, in denen die Betreiber das Notkühlwasser für die Reaktoren vorheizen, um das spröde Material der Druckbehälter zu schonen. Bei Kontakt mit kaltem Wasser steige die Gefahr des Berstens.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort