"Ärztefehler bleiben meist unentdeckt"

Interview Wilfried Jacobs, scheidender Chef der AOK Rheinland/Hamburg, über gute und schlechte Gesundheitsreformen, die notwendige Abschaffung der Praxisgebühr und Komplikationen bei Hüftoperationen.

Herr Jacobs, Sie sind seit 54 Jahren im Dienst der gesetzlichen Krankenversicherung. Wie viele Gesundheitsreformen haben Sie erlebt?

Jacobs Rund 20 werden es gewesen sein – und das waren eindeutig zu viele. Gerade die jüngsten Reformen haben das Gesundheitswesen komplizierter und die Bürokratie für Ärzte und Krankenkassen aufwendiger gemacht, ohne dass die Versorgung der Patienten nennenswert verbessert wurde. Heute schauen viele Ärzte länger auf den Bildschirm des Computers als auf den Bauch des Patienten. Das ist eine schlechte Entwicklung.

Welche Reform hat Sie besonders geärgert?

Jacobs Zum Beispiel die Reform, die die Praxisgebühr einführte. Sie ist ein großes Ärgernis für Ärzte, Krankenkassen und Patienten. Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zu ihrem Nutzen. Zudem hat die Praxisgebühr als Steuerungsinstrument versagt. Die Deutschen gehen weiterhin im Durchschnitt 16 Mal im Jahr zum Arzt und sind damit Weltmeister.

Nun will Gesundheitsminister Bahr die Praxisgebühr abschaffen ...

Jacobs Das begrüße ich. Allerdings können die Krankenkassen nicht auf die zwei Milliarden Euro Einnahmen aus der Praxisgebühr im Jahr verzichten. Der Gesundheitsminister muss schon sagen, woher die Krankenkassen dann das Geld bekommen.

Vielleicht von den Kliniken? Bei künstlichen Gelenken sind die Deutschen Weltmeister. Muss man diese Operationen beschränken?

Jacobs Nein. Vor allem darf das Alter eines Menschen nie ein Grund dafür sein, ihm eine neue Hüfte oder ein neues Knie zu verweigern, falls dies medizinisch notwendig ist. Es wäre allerdings gut, wenn die Krankenkassen Direktverträge mit den Kliniken aushandeln könnten, denn die Qualität solcher Eingriffe ist sehr unterschiedlich.

Was würden Sie darin regeln?

Jacobs Die Qualität der Behandlung zu sichern sowie die Reha-Nachsorge noch stärker individuell auf den Patienten auszurichten. Manche Kliniken kommen bei Hüft- und Knie-OPs auf Komplikationsraten von 30 Prozent, während sie bei anderen nur bei drei Prozent der Patienten liegen. Solche Unterschiede dürfen nicht sein. Wir brauchen größere Transparenz.

Stichwort Komplikationen. Welche Ärztefehler treten besonders oft auf?

Jacobs Zunächst einmal die Feststellung, dass die Medizin in Deutschland grundsätzlich auf einem hohen Niveau stattfindet. Im Jahr 2011 haben sich 874 Versicherte wegen Behandlungsfehlern an uns gewandt. Die Fallzahlen steigen leider an. Zu den häufigen Fehlern in Kliniken und Praxen gehört die mangelnde Qualifikation. Auch kommt es immer wieder vor, dass bei einer Operation Gegenstände wie Tupfer im Körper zurückgelassen werden. Aber auch Röntgenbilder werden falsch gedeutet oder Medikamente falsch verschrieben.

Was kann man dagegen tun?

Jacobs Betroffene Patienten sollten sich stets an ihre Krankenkasse wenden, damit sie helfen kann. Und wir müssen offener mit Behandlungsfehlern umgehen. Jeder Mensch macht Fehler, auch Ärzte. Doch die meisten Fehler werden nicht aufgedeckt. Dabei sollten die Ärzte und Kliniken daran interessiert sein, die Fehler transparent zu machen, damit man daraus auch Erkenntnisse sammeln kann. Das neue Patientenrechtegesetz geht in die richtige Richtung.

Wegen der guten Konjunktur haben viele Kassen Überschüsse gebildet. Die AOK Rheinland/Hamburg auch?

Jacobs 2011 haben wir bei einem Haushalt von 6,7 Milliarden Euro einen Überschuss von 135 Millionen Euro erzielt. Auch verfügen wir über ausreichende Betriebsmittel. Als gut planende Kaufleute werden wir das Geld wie auch gesetzlich gefordert den Rücklagen zuführen. Zudem können wir versprechen, dass es weder in diesem noch im nächsten Jahr einen Zusatzbeitrag gibt. Prämien werden wir allerdings nicht ausschütten.

Antje Höning führte das Gespräch. Die Langfassung finden Sie unter www.rp-online.de/wirtschaft.

(RP)
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