Interview: Frank-Jürgen Weise "Ab 2020 haben wir Vollbeschäftigung"

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit über den Jobaufbau, subventionierte Arbeitsplätze und die Notwendigkeit von Zeitarbeit.

Während die Politik sich um die Konjunktur sorgt und Investitionsprogramme plant, sehen Sie Deutschland auf dem Weg in die Vollbeschäftigung. Warum so optimistisch?

Weise Das ist kein Widerspruch. Wir haben einen guten Arbeitsmarkt trotz der Risiken, die zweifellos bestehen. Wir können auf Vollbeschäftigung realistisch hinarbeiten, auch weil künftig in Deutschland wegen des demografischen Wandels immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Unsere Wirtschaft stellt gute Produkte her, die die Welt braucht.

Wann haben wir Vollbeschäftigung?

Weise Dass auf dem Weg zur Vollbeschäftigung eine Menge Risiken liegen und zwischendurch sogar Einbrüche stattfinden können, ist klar. Ich halte es aber für realistisch, dass wir in den Jahren ab 2020 Vollbeschäftigung erreichen können.

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen verharrt auf hohem Niveau. Warum ist es noch nicht besser gelungen, sie zu integrieren?

Weise Viele von ihnen haben keinen Schul- und Berufsabschluss und sind älter als 50. Die Tatsache, dass sie schon länger arbeitslos sind, macht es leider nicht einfacher. Wir sollten uns nichts vormachen: Menschen in Arbeit zu bringen, die nicht die Chance bekommen haben für einigermaßen gute Bildung, das ist richtig harte Arbeit. Wir sind aber schon von 1,7 Millionen auf heute eine Million Langzeitarbeitslose runtergekommen. Das ist ein Schwerpunkt von uns, und bei guter Konjunktur werden es auch noch mehr Menschen schaffen.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles will mit einem speziellen Förderprogramm 43 000 Langzeitarbeitslose aktivieren, teils mit 100 Prozent Lohnkostenzuschuss. Was werden das für Beschäftigungen sein?

Weise Wir haben mehr als 200 000 Menschen, die seit 2005 noch nie in Arbeit waren. Jetzt ist die Frage: Sollen wir sie weiter mit Qualifizierungsrunden und Bewerbungstrainings unterstützen? Oder muss man nicht realistisch sagen: Sie werden nicht im ersten Arbeitsmarkt unterkommen, wenn wir das nicht entsprechend mit Lohnkostenzuschüssen flankieren. Wir denken: Lieber in Arbeit sein, auch wenn sie subventioniert ist, als Arbeitslosigkeit. Was es dann ganz konkret für Jobs sind, muss man sich dann genau anschauen. Es darf natürlich nicht den bislang beschäftigten Gärtner und andere verdrängen, weil die Kommunen sich solche günstigeren Arbeitskräfte nehmen. Das muss gut ausbalanciert werden.

Wird die Zahl der Aufstocker, die zusätzlich zum Arbeitslohn noch Arbeitslosengeld beantragen müssen, mit dem Mindestlohn zurückgehen?

Weise Viele erwarten, dass die Kosten für Aufstocker durch den Mindestlohn erheblich zurückgehen. Sie werden zurückgehen, aber weniger, als man vielleicht annimmt. Es wird immer noch notwendig sein, in bestimmten Situationen aufstockendes Arbeitslosengeld II zu zahlen. Jemand, der bereit ist zu arbeiten, aber noch nicht davon leben kann, der verdient große Anerkennung. Und da ist es gut, dass er finanziell unterstützt wird. Die Zahl der Aufstocker wird durch den Mindestlohn voraussichtlich um weniger als 100 000 sinken und die Einsparungen beim Arbeitslosengeld II liegen wahrscheinlich unter einer Milliarde Euro im Jahr, sagen unsere Forscher vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Welche Entwicklung erwarten Sie noch durch den Mindestlohn?

Weise Wir müssen schon damit rechnen, dass es in Ostdeutschland und wahrscheinlich auch in anderen Regionen Arbeitsplatzverluste geben kann. Manche Tätigkeit wird möglicherweise zu diesem Preis nicht mehr so nachgefragt sein. Es wird aber auch Menschen geben, die sagen: Wenn ich wenigstens diesen Mindestlohn kriege, dann lohnt es sich für mich auch, die Arbeit anzunehmen. Manche Stellen können also schneller besetzt werden als früher. Erstmal müssen wir also mit einem kleinen Dämpfer rechnen, auf längere Sicht ist unsere Einschätzung, dass der Arbeitsmarkt den Mindestlohn durchaus verkraftet. Das zeigen auch die Erfahrungen in anderen Ländern wie etwa Großbritannien.

Dann fallen aber doch genau die Stellen weg, die Sie brauchen, um den harten Kern von Langzeitarbeitslosen wieder in Arbeit zu bringen . . .

Weise Es kann genau diese Stellen treffen, ja. Die Gegenreaktion muss sein, dass es weniger Schulabbrecher gibt, dass künftig möglichst keiner mehr ohne Ausbildung bleibt. Das ist der ewige Kampf, Menschen zu befähigen, dass sie im Berufsleben bestehen.

Was halten Sie von den Plänen, Zeitarbeit stärker zu regulieren?

Weise Zeitarbeit ist unbedingt notwendig, um Auftragsspitzen abzufedern. Es sollen aber keine Stammbeschäftigten durch dauerhaft eingesetzte Zeitarbeitskräfte ersetzt werden. Bei den Werkverträgen will die Bundesregierung Transparenz schaffen, und das kann ich nachvollziehen. Es darf sich kein neuer abgekoppelter Sektor entwickeln mit Werkverträgen zu anderen Bedingungen als sie sonst in Deutschland gelten. Aber natürlich wird es auch künftig Zeitarbeit und Werkverträge geben.

R. LEHMANN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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