Start des Deutschlandtickets ÖPNV-Verbünde geraten wegen 49-Euro-Tickets in NRW unter Druck
Düsseldorf · Am 1. Mai startet das 49-Euro-Ticket. Dieses Einheitsangebot bringt nun VRR, VRS und Co. in Zugzwang: Experten fordern mehr Kooperation, während das Reisen ohne Verbundgrenzen auch ohne das neue Abo leichter wird.
Das am 1. Mai startende 49-Euro-Ticket bringt den öffentlichen Nahverkehr von NRW doppelt in Schwung, aber auch massiv unter Druck. Einerseits werden speziell am Starttag volle Züge hin zu attraktiven Zielen wie Köln, Düsseldorf, Münster oder Koblenz erwartet, nachdem VRR, VRS und Co. weit mehr als 100.000 neue Abos verkauft haben und beispielsweise beim VRR mehr als 90 Prozent der bisherigen Abonnenten auf das neue Abosystem mit bundesweiter Gültigkeit umgestellt haben.
Andererseits führt das 49-Euro-Ticket, das die Branche Deutschlandticket nennt, dass Verbünde und Verkehrsfirmen viel stärker kooperieren müssen als bisher. „Die Verbünde müssen viel enger zusammenarbeiten und noch mehr auf Digitalisierung setzen“, sagt Norbert Czerwinski, Vertreter der Grünen in der Verbandversammlung des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR). „Da sollte man auch über Strukturen nachdenken.“ Dies sieht Oliver Krauß, verkehrspolitischer Sprecher der CDU im Landtag genauso: „Die Zeit der streng abgeschotteten Verkehrsverbünde in NRW und bundesweit läuft aus, weil die meisten Abonnenten doch sowieso die gleichen Tickets haben.“ Ingo Steiner, Aufsichtsratschef des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg (VRS) ergänzt: „Wir brauchen einheitlichere Fahrscheine in den Verbünden und damit in ganz NRW. Damit muss die ganze Branche mehr in die Zukunft denken.“
Das Deutschlandticket läutet eine Welle von NRW-Gemeinschaftsprojekten ein. Zum 1. Juli werden VRR, VRS, Aachener Verkehrsverbund und der vierte NRW-Verkehrsverbund „Westfalentarif“ ein gemeinsames in ganz NRW gültiges Fahrradzusatzabo für 39 Euro im Monat anbieten – auch Druck von NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) hatte diese Offerte erzwungen. Gebucht wird per App, die bisherigen Fahrradabos nur innerhalb der Verkehrverbünde (VRR 29 Euro im Monat, VRS 42,20 Euro) laufen aber weiter. Ein ebensolches Zusatzabo für die 1. Klasse für ganz NRW wird es für 69 Euro geben - hier hatten vorrangig Senioren aus dem VRR-Gebiet Druck gemacht, die bisher für 97,10 Euro im Monat mit der ersten Klasse im ganzen VRR unterwegs sein konnten.
Diese Schritte sind nur der Anfang. Das Land will eine einheitliche Lösung für Sozialtickets, die dann zu einem etwas günstigeren Preis als 49 Euro bundesweit gültig sein sollen, auch eine Schülerlösung wird diskutiert. Und während das Deutschlandticket vorrangig zum Ziel hat, Pendler stärker in den Nahverkehr zu locken, wird für Gelegenheitsfahrer das im Auftrag der Landesregierung entwickelte Eezy-System verbessert: Bürger, die in NRW von einem Ort zum anderen fahren, zahlen dabei unabhängig vom Tarifverbund einen festen Betrag pro gefahrenem Kilometer. So kann etwa ein Düsseldorfer, der in Köln fünf Kilometer mit der KVB fährt, dies mit der Rheinbahn-App bezahlen.
Doch um das System wirklich attraktiv zu machen, dürfen ab 1. Mai pro Monat nie mehr als 49 Euro in einem Monat abgebucht werden. „Wir führen mit dem weiterentwickelten Eezy faktisch ein flexibles NRW-Abo für jedermann ein“, sagt CDU-Mann Krauß, „wenn viel gefahren wird, ist nun maximal so viel Geld fällig wie beim Deutschlandticket, aber wenn wie während des Urlaubs wenig gefahren wird, wird weniger Geld abgebucht.“
Eezy garantiert sowieso, nie mehr als ein reguläres Ticket auf der Strecke abzubuchen. NRW-Verkehrsminister Krischer ist von dem App-System so begeistert, dass er es bundesweit ausbauen will, Krauß befürwortet noch andere Schritte: „Eezy ist super, aber wir sollten auch zwei oder drei Tage-Tickets für ganz NRW anbieten, um Touristen ein gutes Angebot zu machen.“ Das aktuelle Schönertagticket für 31,90 Euro am Tag für ganz NRW sei nicht mehr wettbewerbsfähig, wenn die deutschlandweite Fahrt nur 49 Euro im Monat koste. „Es sollte in ganz NRW einheitliche Angebote für Gelegenheitsfahrer geben, Eezy solle stärker herausgestellt werden.“
Die große Frage ist, wann und ob NRW-Verkehrsverbünde wegen der immer stärkeren Vereinheitlichung fusionieren werden. Beim VRR sehen Branchenkenner eher keinen Konsolidierungsbedarf – er ist sowieso der größte Verkehrsverbund Deutschlands.
Allerdings fällt auf, dass mächtige Mitgliedsunternehmen des VRR wie die Düsseldorfer Rheinbahn einzelne Tarife des VRR wie das Rabattabo Flex35 nicht auf ihrer App anbieten. Es bietet 35 Prozent Rabatt auf jede Einzelkarte sowie kostenlose Fahrradmitnahme, wenn der Kunde im Monat 8,99 Grundgebühr zahlt. Die Rheinbahn erklärt, Düsseldorfer Kunden könnten diese Option ja über die VRR-App statt der Rheinbahn-App buchen, wirklich kundenfreundlich ist das nicht.
Im Süden des Bundeslandes arbeiten der Aachener Verkehrsverbund (AVV) und der VRS immer enger im Rahmen der Organisation Nahverkehr-Rheinland („Go.Rheinland“) zusammen, für VRS-Aufsichtsratschef Steiner ist das nur ein Zwischenschritt: „Es wäre besser, wenn beide Organisationen auf Dauer zusammengehen.“ Dies sieht auch der bei Bonn lebende CDU-Verkehrspolitiker Krauß so: „AVV und VRS nähern sich sowieso immer stärker an. Eine Fusion wäre auf Dauer sinnvoll.“
Besonders schwierig ist die Lage in Westfalen. Auf dem Papier scheint es unter dem Dach des „Westfalentarif“ zwar eine einheitliche Organisation zu geben, aber in Wahrheit zerfällt die Region in eine Vielzahl von Tarifzonen, die aktuelle Preistabelle ist 22 Seiten lang. Krauß: „Auch in Westfalen sehe ich eine große Chance für einfachere Angebote und mehr Zusammenarbeit im Interesse der Kunden.“
VRR, VRS und Westfalentarif (Nahverkehr Westfalen Lippe, NWL) erklären, sie würden im Interesse der Kunden sowieso immer enger zusammenarbeiten. Der NWL betont, bei Ergänzungen zum Deutschlandticket würde er bundesweite Lösungen bevorzugen. Der VRS meint, bei 18 Millionen Einwohnern seien vier Verbünde nicht zu viel, in anderen Bundesländern sei die ÖPNV-Branche zersplitterter.