Hannover 3,7 Prozent mehr für Chemie-Beschäftigte

Hannover · Bei der unbefristeten Azubi-Übernahme muss die Gewerkschaft zurückstecken.

Häufig gibt es bei Tarifverhandlungen diesen einen entscheidenden Moment, den Punkt, an dem der Knoten platzt und alle Verhandlungsteilnehmer merken: Es bewegt sich etwas. Bei den Tarifverhandlungen für die rund 550 000 Beschäftigten der chemischen Industrie in Hannover war dieser Punkt gestern Vormittag um kurz nach halb elf Uhr erreicht. Neun ergebnislose Runden in den einzelnen Regionen und zwei Verhandlungstage auf Bundesebene lagen da bereits hinter den Teams von IG Bergbau Chemie Energie (IG BCE) und Arbeitgeberverband BAVC.

Der größte Knackpunkt war die Frage nach der unbefristeten Übernahme aller Auszubildenden – für die Arbeitgeber ein rotes Tuch. Am Dienstag hatten beide Seiten bis tief in die Nacht keine Lösung gefunden – da war über eine Lohnerhöhung noch gar nicht gesprochen worden. Am Ende musste sich die IG BCE mit einer abgespeckteren Variante zufriedengeben: Statt einer Übernahmegarantie vereinbarten beide Seiten ein etwas höheres Angebot an Ausbildungsplätzen. Das steigt von 9000 auf künftig 9200 jährlich. Zudem ließen sich die Arbeitgeber auf eine Selbstverpflichtung ein, wonach die "unbefristete Einstellung zum Normalfall" werden soll. Die Formulierung bietet denjenigen, die nicht ausbilden wollen, viel Raum.

Bei der Lohnforderung ging es gestern dagegen deutlich schneller zur Sache. Gerade einmal gut fünf Stunden benötigten beide Seiten, um sich zu einigen. Demnach erhalten die Beschäftigten nach einem Monat ohne Lohnsteigerung für den darauffolgenden Zeitraum von 13 Monaten 3,7 Prozent mehr Gehalt. Unternehmen, die in wirtschaftlich schwieriges Fahrwasser geraten sind, können bei Zustimmung des Betriebsrats die Lohnerhöhung zudem um zwei weitere Monate aufschieben. Gefordert hatte die IG BCE eine Lohnerhöhung von 5,5 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten.

Mit der Tarifeinigung ohne jeglichen Streik hat die Gewerkschaft zurück zu ihrer konsens-orientierten Linie gefunden. Noch vor wenigen Wochen hatte es so ausgesehen, als sei auch ein Arbeitskampf nicht ausgeschlossen. Ungewöhnlich scharf hatten IG BCE-Chef Michael Vassiliadis und Tarifvorstand Peter Hausmann über die "Unbeweglichkeit" der Arbeitgeber geschimpft.

Davon war gestern keine Rede mehr: "Das Ergebnis steht in der Tradition einer erfolgreichen Tarifpolitik, die der wirtschaftlichen Stärke der chemischen Industrie entspricht", sagte Vassiliadis. BAVC-Präsidentin Margret Suckale sagte, wichtig sei, "dass die Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben – gerade in einer Zeit, in der immer mehr Belastungen auf die Wirtschaft zukommen". Der Abschluss für die Chemie ist der erste große in diesem Jahr. In der kommenden Woche werden Verdi und Beamtenbund ihre Forderung für die Beschäftigten bei Bund und Kommunen präsentieren.

(RP)
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