Aggressives Klima 2015 war ein Mega-Streikjahr

Düsseldorf · Der Konfliktintensitätsindex des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt: Die Tarifauseinandersetzungen in diesem Jahr wurden mit extremer Härte geführt. Grund sind vor allem Rivalitäten der Gewerkschaften.

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Foto: dpa/Federico Gambarini

Arbeitskämpfe bei Amazon, bei der Deutschen Bahn, der Post oder Lufthansa - 2015 hat sich in puncto Streiks seinen Platz als Ausnahmejahr wahrlich verdient. "Das Klima war deutlich aggressiver als in früheren Jahren", sagt Hagen Lesch, Tarifexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. "In den von uns untersuchten zwölf Branchen sind die Tarifverhandlungen viel stärker als in vorangegangenen Jahren eskaliert."

Das belegt auch der Konfliktintensitäts-Index, den Lesch und seine Kollegin Paula Hellmich regelmäßig erstellen und dessen Ergebnisse unserer Redaktion vorab vorliegen. Die Wissenschaftler haben für den Index die Konflikte seit 2006 nicht wie sonst in den gängigen Statistiken üblich einzig nach ihrer Länge betrachtet, sondern vergaben anhand einer Skala Punkte, je nachdem, zu welchen Mitteln die Gewerkschaften im Laufe der Auseinandersetzung griffen: Für reine Verhandlungen ohne Drohungen oder Arbeitskampf gab es null Punkte, bei Arbeitskämpfen nach einer Urabstimmung sieben Punkte. Da ein einzelner Konflikt mehrfach eskalieren kann, addierten die Forscher die Konfliktpunkte zusammen. Bei den 14 beobachteten Tarifverhandlungen 2015 lag die Konfliktintensität im Durchschnitt bei 20,6 Punkten - so hoch wie noch nie.

Ein Grund dafür ist die Rivalität der Gewerkschaften untereinander. "Das macht sich gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkbar", erläutert Lesch. "Zum einen haben wir bei der Deutschen Bahn beispielsweise Rangeleien um Zuständigkeiten zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft gehabt." Eine andere Form der Rivalität gab es bei der Lufthansa. "Allen Beschäftigtengruppen war klar, dass es aufgrund des Konzernumbaus zu Einschnitten etwa bei der Übergangsversorgung kommen würde. Allerdings hatte keine Gewerkschaft Lust, dem Management als erstes mit Konzessionen entgegenzukommen." Der Konflikt wurde damit zur Dauerbaustelle - und ist immer noch nicht gelöst. Zudem führte die Rivalität zwischen Branchengewerkschaften wie Verdi und kleineren Spartengewerkschaften dazu, dass auch die große Dienstleistungsgewerkschaft zunehmend Verbesserungen für nur einzelne Branchen durchzusetzen versucht - wie etwa im Sozial- und Erziehungsdienst.

"Der zweite wichtige Grund für die hohe Konfliktintensität ist der Kampf gegen unternehmerische Entscheidungen - wie etwa bei der Post oder der Lufthansa", so Lesch. Tatsächlich ist der Konflikt zwischen Verdi und dem Postmanagement um Auslagerungen von Paketzustellern derart eskaliert, dass der Konflikt mit 73 Konfliktpunkten klar an der Spitze liegt.

Da ist es schon auffällig, dass es bei den gerade so oft gescholtenen Spartengewerkschaften vergleichsweise ruhig zuging: "Die Gewerkschaft der Flugsicherung, aber auch der Marburger Bund haben fast völlig geräuschlos verhandelt", sagt Lesch. "Diesen konsensorientierten Weg können die Spartengewerkschaften immer dann gehen, wenn sie konkurrenzlos agieren können", sagt der IW-Experte.

Dass die aggressiven Gewerkschaften gut mit ihrer Strategie gefahren sind, glaubt Lesch indes nicht. "Bei der Post, der Lufthansa und auch der Bahn haben die Gewerkschaften in Kauf genommen, dass nachhaltige Streikschäden entstanden sind. Wenn der Gewinn derart stark belastet wird, ist am Ende auch weniger zum Verteilen an die Mitarbeiter übrig."

Die Zahl der angefallenen Ausfalltage durch die vielen Streiks taxiert das IW auf rund 960.000. Und das, obwohl allein die Gewerkschaft Verdi sich selbst zuschreibt, für 1,5 Millionen Ausfalltage im Jahr 2015 zu stehen. "Die Zahlen der Gewerkschaften sind mit Vorsicht zu genießen, weil diese schon aus strate gischen Erwägungen übertreiben", so Lesch.

Für das kommende Jahr rechnet der Tarifexperte mit einem Rückgang der Tarifintensität: "Wir stehen zwar vor einer Reihe von schwierigen Verhandlungen, etwa bei der Deutschen Bahn, im öffentlichen Dienst und auch in der Metall- und Elektroindustrie. Die Akteure sollten aber begriffen haben, dass Streik keine Lösung ist. Deshalb halte ich ein zweites Mega-Streikjahr wie 2015 für unwahrscheinlich."

(maxi)
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