Interview mit Bundesagentur-Chef Weise "180.000 Rumänen und Bulgaren kommen"

Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, sprach mit unserer Redaktion über Vollbeschäftigung, Zuwanderung aus europäischen Krisenländern und die Perspektiven des deutschen Arbeitsmarkts.

Blick auf Duisburgs "Problemhaus" in Rheinhausen
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Foto: dpa, obe hpl

2014 steht die nächste Runde der EU-Osterweiterung an. Dann erhalten Bulgaren und Rumänen die volle Arbeitnehmer-Freizügigkeit. Erwarten Sie einen Zustrom?

Weise: Wir erwarten aus Bulgarien und Rumänien eine Netto-Zuwanderung von 100.000 bis 180.000 Arbeitskräften pro Jahr auf den deutschen Arbeitsmarkt. Das geht aus einer Einschätzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor.

Wer wird kommen?

Weise: Es werden sicher gut qualifizierte Arbeitnehmer kommen, die hier mehr Chancen für sich sehen als in ihren Heimatländern. Es ist aber auch zu erwarten, dass Menschen für einfache Arbeiten kommen.

Handwerk und Städte fürchten vor allem eine Armuts-Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme oder in die Schwarzarbeit …

Weise: Solche Erscheinungen gibt es, aber sie dominieren nicht den Arbeitsmarkt. Da gibt es genügend Möglichkeiten, dagegen anzugehen. Ähnlich Befürchtungen gab es auch 2011, als Länder wie Polen die Freizügigkeit erhielten. Sie haben sich nicht bestätigt.

Acht osteuropäische Länder erhielten im Mai 2011 die volle Freizügigkeit. Wie viele ausländische Arbeitskräfte sind seitdem gekommen?

Weise: Wir erleben eine Nettozuwanderung von 100.000 Arbeitskräften pro Jahr aus Ländern wie Polen, Ungarn und den baltischen Ländern. Die Menschen sind überwiegend gut qualifiziert. Das sehen wir daran, dass — vergleichen mit dem April 2011 - mehr Menschen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sind und weniger als Minijobber arbeiten. Die meisten von ihnen sind im verarbeitenden Gewerbe tätig (über 45.000). Beliebt ist auch die Arbeit im Bereich Handel/Kfz-Gewerbe, in der Gastronomie sowie im Gesundheits- und Sozialwesen.

In vielen Euro-Krisenländern ist die Arbeitslosigkeit erschreckend hoch. Wie viele kommen zu uns?

Weise: Ende letzten Jahres hat sich die Zahl der Beschäftigten in Deutschland aus Spanien, Italien, Portugal und Griechenland um rund 33.000 auf 462.000 erhöht. Das sind fast acht Prozent mehr als im Vorjahr. Wir haben viele Menschen aus diesen Ländern als Arbeitsuchende bei uns registriert. Das Interesse ist hoch. Die Goethe-Institute haben ihre Kapazität an Deutschkursen ausgeweitet.

Wer kommt?

Weise: Der Anstieg der Beschäftigten fiel bei den Spaniern und Griechen mit 16,7 bzw. 10,9 Prozent am stärksten aus. Bei der Suche nach Fachkräften in diesen Ländern konzentrieren wir uns vor allem auf Ingenieure, Ärzte und Pflegekräfte.

Ist die Zuwanderung ein Problem für den deutschen Arbeitsmarkt?

Weise: Nein, im Gegenteil. Auf Dauer wird der deutsche Arbeitsmarkt eine Nettozuwanderung von mindestens 200.000 Arbeitskräften pro Jahr brauchen, damit der Fachkräfebedarf trotz schrumpfenden Erwerbspotenzials gedeckt werden kann.

Ist der deutsche Arbeitsmarkt offen genug?

Weise: Nein, wir müssen für ausländische Kräfte attraktiver werden. Sowohl Gesetzgeber, Verwaltung als auch die Wirtschaft sind hier auf einem guten Weg. Auch die Initiativen der Bundesarbeitsministerin zielen in diese Richtung.

Der deutsche Arbeitsmarkt ist sehr gut durch Finanz- und Euro-Krise gekommen. Wie geht es weiter?

Weise: Das laufende Jahr ist von Unsicherheit geprägt, um Deutschland herum ist die Lage sehr schwierig. 2012 hatten wir im Schnitt 2,9 Millionen Arbeitslose. Wir werden einige Monate mit über drei Millionen Arbeitslosen erleben. Doch im Jahresdurchschnitt wird die Zahl der Arbeitslosen stabil bleiben oder, im günstigsten Fall, sogar auf 2,86 Millionen sinken. Die Zahl der Beschäftigten wird weiter steigen. Das wäre gemessen an europäischen Arbeitsmärkten eine unterwartet gute Entwicklung.

Ist Vollbeschäftigung in Sicht?

Wir haben noch das Nord-Süd-Gefälle. Aber es gibt Regionen mit guter Entwicklung, auch in Ostdeutschland. Bayern und Baden-Württemberg mit ihrer mittelständischen Wirtschaft und einer guten Balance zwischen neuen Medien und guten Maschinenbau sind gut aufgestellt. In Teilen Ostdeutschlands oder im immer noch vom Strukturwandel betroffenen Ruhrgebiet ist eine Besserung noch nicht in Sicht.

Weniger Arbeitslose brauchen weniger Personal. Wie weit ist die Bundesagentur mit ihrem Sparprogramm?

Weise: Von 2011 bis Ende 2015 wollen wir 17.000 Stellen abbauen. Bis Ende des Jahres werden wir 10.000 Stellen abgebaut haben, ohne betriebsbedingte Kündigungen. Mehr Einsparungen sind beim Personal nicht möglich. Wer bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage arbeitslos ist oder wird, braucht oft intensive Betreuung. Weitere Einsparungen werden wir dagegen bei Sachausgaben erbringen. Das betrifft den wirkungsvolleren Einsatz von Eingliederungsmitteln oder auch unser Ausgaben für Informationstechnik.

Können Arbeitnehmer und Betriebe mit sinkenden Beiträgen rechnen?

Weise: Nein. Die Bundesagentur für Arbeit hat wie keine andere Behörde eine Beitragssenkung unterstützt. Im Jahr 2006 lag der Beitragssatz noch bei 6,5 Prozent, seit 2011 sind es nur noch drei Prozent. Das ist schon einmalig. In einer derzeit so unsicheren Lage würde ich keine Beitragssenkung empfehlen.

Die Bundesregierung hat Ihnen Zuweisungen aus der Mehrwertsteuer gestrichen …

Weise: Unterm Strich hat die Arbeitslosenversicherung 2013 dadurch drei Milliarden Euro weniger zur Verfügung. Das wird etwas kompensiert durch gute Beschäftigung und weniger Arbeitslose. Neue Rücklagen können wir aber nicht mehr bilden. Damit geht die Politik ein Risiko ein. 2013 werden wir ein Defizit haben, das wir mit unseren Rücklagen ausgleichen. 2014 hätten wir nach derzeitiger Planung ein ausgeglichenes Ergebnis, aber wieder keine Rücklagen, was mich beunruhigt.

Das Gespräch führte Antje Höning

(RP/pst/csi/jco)
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