Die vielleicht bedeutsamste Phase der digitalen Revolution hat längst begonnen. Maschinen führen nicht mehr nur Befehle aus, sondern sie lernen. Darin liegen enorme wirtschaftliche Chancen – aber wie jede Technologie ist KI nicht gut oder schlecht, sondern muss durch ethische Maßstäbe, Regeln und Gesetze eingehegt werden. Und ähnlich wie bei der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts kommen Staat und Gesellschaft nur langsam hinterher. Das Tempo der Umwälzung ist heute viel rasanter als damals, jenes der Gesetzgebung kaum.
Zwar haben die EU-Staaten in diesem Sommer eine bisher weltweit einzigartige Verordnung über Künstliche Intelligenz verabschiedet. Aber die Beratungen haben fünf Jahre gedauert, die Beschlüsse sind noch nicht umgesetzt, und selbst dieser sogenannte AI Act für einen der größten Wirtschaftsräume der Welt deckt nur eine kleine Ecke des World Wide Web ab. Die Frage, ob amerikanische, chinesische und europäische Maßstäbe gelten sollen, beschreibt letztlich einen Kulturkampf, der weitgehend im Verborgenen stattfindet.
Die Debatte darüber scheint abzuebben, dabei müsste sie dringend forciert werden. In der übernächsten Woche lädt die CDU zu ihrem Landesparteitag in Münster. In der Einladung betont Ministerpräsident Hendrik Wüst das riesige Potenzial „in fast allen Bereichen unseres täglichen Lebens“ und nennt ein Beispiel: „Dank KI haben wir die Chance, den Krebs zu besiegen – genauso Demenz und andere Volkskrankheiten.“ Die Wertschöpfung der deutschen Wirtschaft werde sich enorm steigern, davon wolle NRW profitieren und die führende Digitalregion in Europa werden.
Nichts daran ist falsch, Politik soll auch Zuversicht stiften. Und doch – wie steht es um die Risiken? In einem Telegram-Kanal in Südkorea haben sich jüngst rasend schnell und massenhaft pornografische Bilder verbreitet, die mit Hilfe von KI erzeugt worden waren. Es handelt sich um KI-Bearbeitungen bestehender Fotos junger Frauen, die aus deren realen Profilen stammten. Präsident Yoon Suk Yeol forderte die Behörden auf, „diese digitalen Sexualverbrechen gründlich zu untersuchen und zu bekämpfen, um sie auszurotten“. Doch Deepfakes sind nicht auf den einen Telegram-Kanal und nicht auf Südkorea beschränkt, und so sind die Worte des Staatschefs wohl kaum mehr als ein frommer Wunsch.
Auf einer französischen Website wurde kürzlich behauptet, die ukrainische First Lady Olena Selenska habe sich einen Bugatti-Supersportwagen für 4,5 Millionen Euro gekauft. Der Hersteller dementierte hart, doch die Lüge war längst viral gegangen: Fake News auf einer Fake-Seite, die den Blick auf den Krieg in der Ukraine nachhaltig beeinflussen können. Dahinter steckt laut BBC ein ehemaliger Polizist aus Florida, der heute in Moskau lebt.
Mit Blick auf die amerikanische Präsidentschaftswahl in gut sechs Wochen hat ein BBC-Team in einer monatelangen Recherche Hunderte von Artikeln auf mehreren Dutzend Websites ausgewertet. Präsentiert werden sie als Online-Auftritte fiktiver US-Lokalzeitungen, die es nicht oder nicht mehr gibt, vom „Chicago Chronicle“ bis zur „Boston Times“. Das Perfide: Lügengeschichten werden zwischen normalen Beiträgen platziert, die von anderen Seiten geklaut und mittels KI bearbeitet wurden. Bei manchen konnte die BBC sogar den Prompt belegen: „Bitte schreibe diesen Artikel um und nimm dabei eine konservative Haltung ein.“
Für die Leserinnen und Leser lässt sich nicht erkennen, dass sich zwischen ordentlich erscheinenden Artikeln frei erfundene Lügen verbergen. Das Modell lässt sich dank KI nahezu unbegrenzt skalieren. So finden Fake News und „schräge“ Haltungen Donald Trump wird von den Demokraten erfolgreich als „weird“ bezeichnet unbemerkt Eingang in das kollektive Bewusstsein. Und der Rechtsstaat kann kaum etwas machen, weil die Urheber in Russland oder sonst wo sitzen und im Zweifel ruckzuck die nächste Seite launchen. Spätestens die Bundestagswahl im kommenden Jahr wird zeigen, wie weit diese Angriffe auf das demokratische Gefüge hierzulande technisch gekommen sind.
Doch liegen darin wiederum auch Chancen für Medien wie die Rheinische Post, die bereits über 70.000 zahlende Abonnenten zählt, die ausschließlich digital lesen. Denn in einem Meer aus Desinformation und Lügen haben starke Marken einen noch wichtigeren Platz. Der Diskurs über die ethischen Maßstäbe des digitalen Zeitalters hat gerade erst begonnen. Die Industrialisierung hat schließlich auch zunächst den Manchester-Kapitalismus und erst viel später die soziale Marktwirtschaft hervorgebracht.
Herzlich Willkommen zum 4. Digital Ethics Summit der Rheinischen Post!
MORITZ DÖBLER
KI-Systeme und Dialogforen kennenlernen
Stand von KI.NRW und Bergisches Hochwasser warnsystem 4.0
Experten der Kompetenzplattform KI.NRW zeigen, wo KI-Systeme schon heute zum Einsatz kommen. An einem interaktiven Exponat können die Gäste ganz spielerisch in verschiedene Lebens- und Arbeitswelten eintauchen und KI-Anwendungsfälle selbst entdecken. Mit am Stand sind auch Vertreter des KI-NRW-Flagship-Projekts Bergisches Hochwasserwarnsystem 4.0, die am Stand erklären, wie sie perspektivisch mithilfe von hochvernetzter Sensorik und Künstlicher Intelligenz frühzeitig vor Hochwassergefahren warnen wollen.
Die Kompetenzplattform KI.NRW will Nordrhein-Westfalen zu einem bundesweit führenden Standort für angewandte Künstliche Intelligenz ausbauen und das Land in internationalen Netzwerken etablieren. Als zentrale Landes-Dachorganisation für Künstliche Intelligenz vereint KI.NRW den Dreiklang aus Spitzenforschung, Innovation und Unternehmertum.
Ausstellung und Austausch mit dem Common Grounds Forum
Die Gesellschaft für Informatik hat im vergangenen Jahr im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung 83 junge Menschen zusammengebracht, um die Digitalpolitik mitzugestalten. Entstanden ist das Common Grounds Forum (CGF). 31 Forderungen für eine nachhaltige und gerechte Digitalisierung liegen nun auf dem Tisch. Diese Forderungen adressieren Entscheidungsträger aus Zivilgesellschaft und Politik. Das Ziel: Über diese Positionen in einen Dialog zu kommen, um Taten folgen zu lassen.
Mehr zu den Aktionsständen und Workshops im Internet:
www.digital-ethics-summit.de/aktionen