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Borussia Mönchengladbach - TSG Hoffenheim Borussia Mönchengladbach ist stilistisch ein Sonderfall in der Liga

Mit vielen Trainerwechseln hat sich der fußballerische Ansatz von Borussia Mönchengladbach in den vergangenen Jahren oft gewandelt. Gerardo Seoane vermischt nun die Ideen seiner Vorgänger- und geht dabei sehr pragmatisch vor.

Stilistisch ist Borussia Mönchengladbach in den vergangenen Jahren durch die Bundesliga getorkelt. Der geduldigere, aber saubere Ballbesitzansatz, den Dieter Hecking noch aus der Ära Lucien Favre bewahrt hatte, sollte unter Marco Rose die Intensität und Aggressivität der RB-Schule„ on top“ bekommen, wie Gladbachs Ex-Manager Max Eberl stets betonte. Adi Hütter sollte daran anknüpfen, aber das Topping dominierte längst den Geschmack.

Und als Hütter entsprechendes Spielermaterial forderte, um seinen Ansatz zu verfestigen, gingen Verein und Trainer lieber getrennte Wege, anstatt den Umbruch großflächig anzupacken. Die Chemie zwischen Hütter und der Mannschaft stimmte nicht. Mit Daniel Farke sollte es mit dem Label „Ballbesitzfußball“ zurück zu den Wurzeln gehen, wobei dies historisch nicht akkurat war, wenn man sie bei Hennes Weisweiler und den „Fohlen“ verortet.

Und nun? Mit Gerardo Seoane kam der bitter nötige Kaderumbruch, stilistisch regiert seit dieser Saison der Hyperpragmatismus. „Wir wollen eine gewisse Flexibilität in unserem Spiel haben. Das bedeutet, dass wir gewisse Gegner mit dem Ball kontrollieren wollen“, erklärt der Trainer auf Nachfrage. „Aber wir müssen, gerade auswärts, auch mal weniger Ballbesitz aushalten und unsere Phasen gut ausnutzen.“ Die Ballbesitz-Tabelle kratzt lediglich an der Oberfläche, für eine Stil-Einordnung bedarf es weiterführender Infos.

Das zeigt sich an der Verteilung in Dortmund, wo Gladbach letztlich bei 49 Prozent landete. „Wenn wir den Ball hatten, haben wir variiert zwischen schnellem Umschaltspiel und Ballbesitz. Das hat uns gutgetan, für ein Auswärtsspiel war die erste halbe Stunde sehr gut“, sagt Seoane. Das 1:0 war hervorragend herausgespielt: 30 Sekunden vor Alassane Pleas Steilpass auf Rocco Reitz hatte Borussia bereits den Ball am gegnerischen Strafraum. Dann brach Luca Netz ab, über Franck Honorat, Julian Weigl und Nico Elvedi ging es zurück in die eigene Hälfte. Von dort passte Max Wöber in den Raum zwischen Dortmunds Mittelfeld- und Abwehrkette auf Plea, der Torschütze Reitz im Stile eines Quarterbacks beim Football auf die Reise schickte.

Gladbach gehört unter Seoane weder zu den Teams, die vornehmlich in Ruhe aufbauen, noch zu denen, die den Ball vor allem direkt - also in der Regel hoch und weit - nach vorne befördern und somit an der Grenze zur Rufschädigung der Bundesliga wandeln.

Borussia ist ein Einzelfall in dieser Saison, was sich an einer Grafik des Datendienstleisters Opta ablesen lässt. Die 18 Mannschaften werden dort in ein Raster eingeordnet: auf der horizontalen Achse nach der Länge ihre Passsequenzen, auf der vertikalen anhand der Geschwindigkeit, mit der sie den Ball in Richtung gegnerisches Tor befördern. Acht Mannschaften sind der Gruppe „eher lang, abwartend, gemächlich“ zuzuordnen, acht dem genauen Gegenteil- „eher kurz, direkt, schnörkellos“.

Bleibt noch der SV Darmstadt, der so langsam Raumgewinn erzielt wie kein anderes Team, aber auch nicht besonders lange den Ball hält. Und dann ist da Seoanes Gladbach, das die achtlängsten Passsequenzen aufweist und gleichzeitig Platz sechs belegt in der Kategorie „Raumgewinn pro Sekunde“. Die Mal-so-mal-so-Borussia. In Europas Topligen bewegt sich kaum eine Mannschaft in beiden Wertungen in der oberen Hälfte. Legt man allein diese Zahlen zugrunde, ist der FC Liverpool ein noch extremeres Beispiel aus der Premier League, ähnlich wie Borussia sind Real Betis aus Spanien und Atalanta Bergamo aus Italien einzuordnen. Ansonsten ist dieses Feld im Raster von Opta ziemlich verwaist.

Ob Gladbachs Position ein Indiz für gewinnbringende Flexibilität ist oder ob die Mannschaft noch sehr in einer Findungsphase steckt, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Bislang bedient Seoanes Team auf jeden Fall eine breite Klaviatur: Borussia weist die achtmeisten Abschlüsse nach Angriffen mit mindestens zehn Pässen auf - aber auch die zweitmeisten nach Direktangriffen. Das 1:0 in Dortmund fällt im Prinzip in beide Kategorien.

Borussia am ähnlichsten ist demnach Werder Bremen, gefolgt von der TSG Hoffenheim. Der Gegner am kommenden Samstag spielt allerdings noch etwas direkter als Gladbach und ist das einzige Team aus dieser Stilrichtung, das in der oberen Tabellenhälfte unterwegs ist. Denn im vorderen Bereich sind die Position im Ranking der Pässe pro Angriff und die reale Platzierung nahezu deckungsgleich. Mittelfristig sollte sich Gladbach deshalb eher am Stil des VfB Stuttgart orientieren, während der FC Bayern und Bayer Leverkusen in anderen Sphären unterwegs sind.

VON JANNIK SORGATZ

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