Wie funktioniert der Corona-Impfstoff Sputnik V?
Grundsätzlich funktioniert der russische Impfstoff Sputnik genauso wie jeder andere Covid-19-Impfstoff: Er trainiert das Immunsystem darauf, das Coronavirus zu erkennen und zu bekämpfen. Dazu wird den Menschen der Bauplan für die Produktion des Spike-Proteins gespritzt. „Mit dieser Information kann der Körper das Spike-Protein selbst herstellen und das Immunsystem wird aktiviert, das heißt es werden Antikörper produziert“, erklärt Nina Kohlhase, Pharmazeutin aus Neuss. Diese Antikörper wiederum verkleben das Spike-Protein und verhindern damit, dass das Virus in menschliche Zellen eindringt. Wenn dann das echte Coronavirus in den Körper gelangt, erkennt das Immunsystem das Spike-Protein sofort wieder, und bildet dank des „Trainings“ umgehend wirksame Antikörper, sodass sich SARS-CoV-2 kaum vermehren kann.
Für die Impfung gibt es zwei Möglichkeiten. „Zum einen kann der Bauplan mittels mRNA direkt injiziert werden“, so die Pharmazeutin. In diesem Fall spricht man von mRNA-Impfstoffen, zu denen Comirnaty von Biontech/Pfizer und Spikevax von Moderna gehören. Zum anderen kann der Bauplan in die Hülle eines anderen, unschädlichen Virus gepackt und dann gespritzt werden – dabei handelt es sich um sogenannte Vektor-Impfstoffe, unter anderem produziert von AstraZeneca und Johnson & Johnson. „Auch Sputnik V aus Russland ist ein Vektor-Impfstoff. Er weist allerdings eine Besonderheit auf“, erklärt Kohlhase weiter. Wie AstraZeneca erfolge die Impfung in zwei Dosen, die beim russischen Vakzin gegen COVID-19 allerdings in einem Abstand von 21 Tagen injiziert werden. Ein weiterer Unterschied: AstraZeneca verwendet für die erste und die zweite Impfung das gleiche unschädliche Virus als Vektor. Bei der Herstellung des russischen Impfstoffs werden dagegen für die erste und zweite Dosen unterschiedliche Erkältungsviren als Hülle genutzt. „Dadurch wird die Immunreaktion im Körper verstärkt“, nennt Kohlhase den Vorteil.
Wofür steht der Name Sputnik V?
Das „V“ in Namen des russischen Corona-Impfstoff Sputnik V steht für Victory – also Sieg - und nicht wie häufig angenommen für die römische Zahl fünf. Dass damit aber nicht nur der Sieg über COVID-19 gemeint ist, verdeutlich die Wahl des Namens Sputnik. Der Hintergrund ist folgender: Im Oktober 1957 schickte die damalige Sowjetunion den ersten künstlichen Satelliten mit eben diesem Namen ins Weltall. Ein riesiger Erfolg für die Raumfahrt, vor allem aber gewannen die Sowjets damit den Wettlauf gegen die USA. Denn auch die Amerikaner bauten eifrig an einem Satelliten und hatten dessen Start für 1958 angekündigt. Nun war die Sowjetunion schneller gewesen.
Mit dem Corona-Impfstoff, der zunächst den Namen Gam-COVID-Vac trug, ist Russland nun auch bei der Herstellung eines wirksamen Mittels gegen das Coronavirus als erstes über die Ziellinie gegangen. Die von Putin selbst angeordnete Beschleunigung des Verfahrens sorgt in der Wissenschaft allerdings für Skepsis. Denn Sputnik V wurde bereits verimpft, bevor die Phase-3-Studie zur Wirksamkeit und Verträglichkeit abgeschlossen war und damit bevor sich das Corona-Vakzin als unbedenklich herausgestellt hat.
Wie wirksam ist Sputnik V?
Nach Angaben des Gemalja-Institut hat Sputnik V eine Wirksamkeit von 91 Prozent. Zum Vergleich: Die Wirksamkeit der Impfstoffe von Biontech und Moderna liegt bei etwa 95 Prozent, die von AstraZeneca bei 80 Prozent und der Impfstoff von Johnson & Johnson verhindert zu 70 Prozent, dass der Geimpfte an SARS-CoV-2 erkrankt.
Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte in Interviews, dass der russische Impfstoff sogar eine Wirksamkeit von 97,6 Prozent habe. Unabhängige Wissenschaftler konnten dies allerdings noch nicht bestätigen. Zwar stellt niemand in Frage, dass Sputnik V generell wirkt, aber konkrete Zahlen wie wirksam die Corona-Impfung ist, können nicht genannt werden. Der Grund: Russland hat bisher (Stand Juli 2021) die Primärdaten der Studien rund um Sputnik V nicht herausgegeben. Lediglich die eigenen Auswertungen wurde veröffentlicht und anderen Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt. Damit könne jedoch der Wirksamkeitsgrad des Sputnik V-Impfstoffs nicht hinreichend geprüft werden.
Wann könnte Sputnik V in der EU zugelassen werden?
Über die Zulassung eines Medikaments oder Impfstoffs in den EU-Staaten entscheidet die europäische Arzneimittelbehörde EMA. Den Impfstoff Sputnik V hat sie bisher aber noch nicht zugelassen und es gibt auch keinen voraussichtlichen Termin. Seit März 2021 läuft allerdings das sogenannte Rolling-Review-Verfahren bei der EMA, bei dem bereits vorhandene Studiendaten zur Impfung geprüft werden, während weiterhin aktuellere Daten eingereicht werden. Russland stellte den EU-Ländern daraufhin 50 Millionen Impfdosen ab Juni in Aussicht. Doch der EU-Behörde fehlen nach eigenen Angaben weiterhin wichtige Daten.
Immerhin durfte sich inzwischen ein Mitarbeiter des Paul-Ehrlich-Instituts die Produktion des Impfstoffs in Russland ansehen. Das Paul-Ehrlich Institut ist federführend an der Prüfung durch die EMA beteiligt und wertet nun die Daten der Besichtigung aus. „Aber solange angefragte, fehlende Daten nicht geliefert werden, rechne ich nicht mit einer Zulassung durch die EMA“, sagte Professorin Christine Falk, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie gegenüber den Medien. Russland hält dagegen, dass die Veröffentlichungen den geltenden Standards entsprechen und auf dieser Grundlage immerhin 51 andere Länder eine Zulassung erteilt hätten. Dass sich der Prozess in der EU seit Monaten hinziehe, sei politisch gewollt, so die Kritik. Andererseits hat auch die Weltgesundheitsorganisation WHO ihre Prüfung des Impfstoffs noch nicht abgeschlossen, weil auch ihr die Datenlage zu dünn ist. „Schade, auf der Grundlage bleibt eine Zulassung in Europa unwahrscheinlich“, kommentierte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.
Welche Nebenwirkungen hat Sputnik V?
„Die möglichen Nebenwirkungen sind ähnliche wie bei anderen COVID-19-Impfungen“, sagt Pharmazeutin Nina Kohlhase. Sie reichen von Kopfschmerzen über grippeähnliche Symptome, Schmerzen an der Einstichstelle und Abgeschlagenheit bis zu Hautirritationen. Zudem gab es auch Berichte, dass vier Menschen nach einer Impfung mit Sputnik gestorben seien. Es ist aber nicht bekannt, ob die Todesfälle tatsächlich mit der COVID-19-Impfung zusammenhängen oder ob es andere gesundheitliche Probleme gab. Wie bei der Wirksamkeit gibt es auch beim Thema Nebenwirkung einfach zu wenige Daten. Hinzu kommt, dass die Rate der genannten Nebenwirkungen ungewöhnlich gering ist, was Misstrauen bei vielen Wissenschaftlern geweckt hat.
Warum gibt es Zweifel an Sputnik V?
Kritik an Sputnik V kam schon bei der Zulassung in Russland im August 2020 auf. Denn sie erfolgte als „Notzulassung“ noch bevor die Phase-III-Studien zur Wirksamkeit und Verträglichkeit des Corona-Impfstoffs gestartet waren. Hinzu kam, dass die Ergebnisse aus der Phase-I- und Phase-II-Studie auf Zweifel stießen. Zum einen war die Anzahl der Studienteilnehmer recht klein. Zum anderen fiel den Wissenschaftlern auf, dass verschiedene Probanden trotz unterschiedlicher Formen des Impfstoffs eine völlig identische Anzahl von Antikörpern im Blut hatten. Auch andere Daten wiesen eine auffällig hohe Übereinstimmung auf, was 40 Wissenschaftler – darunter auch Russen – dazu veranlasste, darauf aufmerksam zu machen, dass hier möglicherweise Daten manipuliert wurden. Das hatte Folgen: Nur 42 Prozent der Russen gaben Anfang 2021 an, dass sie sich die russische Corona-Impfung injizieren lassen wollen.
Als im Februar 2021 die durchweg positiven Ergebnisse der Phase-III-Studie veröffentlicht wurden, stieg das Vertrauen zunächst. Doch in Fachkreisen gab es erneut Zweifel. Wiederum wurden die Primärdaten, die sonst mehrere hundert Seiten füllen und Details zu jedem einzelnen Probanden enthalten, nicht veröffentlicht. Erneut war die Zahl der Probanden sehr gering und wieder wurden Auffälligkeiten entdeckt. Unter anderem sei die Wirksamkeit bei unterschiedlichen Altersgruppen auffällig gleich gewesen. Und bei den Zwischenauswertungen sei der Anteil der Erkrankten in der Gruppe der Geimpften sowie in der Kontrollgruppe immer gleich ausgefallen. „Die ungewöhnliche und unwahrscheinlich hohe Homogenität der Impfstoffwirksamkeit gibt Anlass zu Bedenken hinsichtlich der berichteten Daten“, teilte der Wissenschaftler Florian Naudet der EMA mit.
Noch größer wurden die Zweifel, als im März 2021 Brasilien und die Slowakei, bei gelieferten Sputnik-Dosen Unregelmäßigkeiten entdeckten. Und: In den untersuchten Stichproben der Charge wurden vermehrungsfähige Vektorviren gefunden. Da es sich um harmlose Erkältungsviren handle, sei das Risiko für die Geimpften zwar gering, doch gerade bei Menschen mit Vorerkrankung könnte dies gravierende Folgen haben, so die Wissenschaftler. Inzwischen haben aber sowohl Brasilien als auch die Slowakei den Impfstoff zugelassen, die Slowakei entgegen der Empfehlung der EU-Arzneimittelbehörde.
Welche Länder impfen Sputnik V?
Neben Russland ist Sputnik V inzwischen in mehr als 50 Ländern zugelassen, darunter Mexiko, Iran, Ghana, Sri Lanka und Brasilien. In welchen Ländern es auch geimpft wird, lässt sich in vielen Fällen nicht zweifelsfrei feststellen. Aber vor allem in ärmeren Ländern ist der Impfstoff sehr begehrt. Denn trotz der Warnung vieler Wissenschaftler, dass nur eine weltweite Impfung aller Menschen sinnvoll ist, kümmerten sich die Industrienationen zunächst nur um ausreichend Impfdosen für die eigene Bevölkerung. Hinzu kommt allerdings auch, dass Sputnik V und die anderen Vektor-Impfstoffe im Gegensatz zu den mRNA-Impfstoffen leichter gelagert und transportiert werden können, da ein einfacher Kühlschrank ausreicht.
Seit März 2021 verhandelt auch Österreich mit Russland über Lieferungen des russischen Impfstoffs. Die Bundesregierung hatte sich zunächst dafür ausgesprochen, dass die EU-Kommission den Corona-Impfstoff bestellen sollte. Doch die EU lehnte es ab, Vorverträge zu Sputnik mit Russland zu schließen. Ende März 2021 kündigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn daraufhin an, bilaterale Gespräche mit dem Hersteller führen zu wollen. Allerdings schränkte er ein, dass erst die Zulassung der EMA erfolgen müsse. Sie wird seitdem unter anderem von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder lautstark eingefordert. Der CSU-Chef warf der EMA sogar vor, sie verzögere die Prüfung des Vakzins. Bayern wie auch Mecklenburg-Vorpommern führten zudem eigene Verhandlungen mit dem russischen Hersteller und sicherten sich mehrere Millionen Dosen für den Fall, dass der Corona-Impfstoff zugelassen wird. Auch ein Teil des Berliner Senats wollte Verhandlungen mit dem Sputnik-Hersteller aufnehmen. Doch die Grünen und die Berliner Wirtschaftssenatorin verweigerten die Zustimmung. Der Kauf diene ausschließlich dem Kreml und Putin. Angesichts der Lage von Putin-Kritiker Alexej Navalny könne man das jedoch nur ablehnen, so die Begründung. In Berlin war damit ein handfester Streit um den Impfstoff entbrannt. Der aktuelle Stand: Auch wenn die europäische Arzneimittelagentur den russischen Corona-Impfstoff zulässt, wird er in Berlin nicht bei der Pandemiebekämpfung eingesetzt.
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