Wie entstanden die Ruhrfestspiele?
Als im kalten Nachkriegswinter 1946/47 die Hamburger Theater von der Schließung bedroht waren, weil ihnen die Heizmittel fehlten, fuhren der Verwaltungsdirektor der Hamburger Theater Otto Burrmeister und der Betriebsratsvorsitzende der Hamburgischen Staatsoper Karl Rosengart ins Ruhrgebiet. Bereits von der A2 aus sahen sie die Schlote der Zeche König Ludwig 4/5 in Recklinghausen und baten die Bergleute dort um Kohle. An den Besatzungsmächten vorbei luden die Kumpel die LKW voll und sorgten so für warme Theater in Hamburg.
Beeindruckt von der Hilfsbereitschaft der Bergleute bedankten sich die Hamburger im folgenden Sommer mit einem Gastspiel. Vom 28. Juni bis zum 2. Juli wurden zwei Stücke von Tschechow und jeweils eins von Tolstoi, von Horváth und Donizetti sowie „Figaros Hochzeit“ von Mozart gespielt. Das war die Geburtsstunde der Ruhrfestspiele.
Im Folgejahr fanden die Ruhrfestspiele in Europa und der Welt Beachtung. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Stadt Recklinghausen gründeten 1948 die „Gesellschaft zur Durchführung der Ruhr-Festspiele mbH“. Künstlerischer Leiter war Otto Burrmeister, Kulturreferent des DGB Düsseldorf und ehemaliger Verwaltungsdirektor des Schauspielhauses in Hamburg.
Im Laufe der Jahre entwickelten sich die Ruhrfestspiele in Recklinghausen weiter. Was als Fünf-Tage-Ereignis am Samstag, dem 28. Juni 1947, im Städtischen Saalbau begann, wuchs schnell zu einem mehrwöchigen Programm an, unter anderem in Spielstätten wie dem Theater im Depot, dem Odeon-Theater an der Breiten Straße, dem eigens erbauten Festspielhaus, dem Theater Marl sowie Zelten und Orten unter freiem Himmel.
1951 standen neben Theaterstücken erstmals auch Konzerte, Tanz sowie ein Kindermarionettentheater auf dem Spielplan. 1960 wurde der erste Spatenstich für das Festspielhaus getätigt. Vier Jahre später war das Gebäude fertiggestellt und bot Raum für Theater, Musik und Film.
1991 begann mit Intendant Hansgünther Heyme eine neue Ära, er machte die Ruhrfestspiele zum Europäischen Festival. Trotz der Neukonzeption blieben die Ruhrfestspiele als einziges „politisches Festival“ in Deutschland den alten Grundsätzen verbunden. 2004 wurde Frank Castorf, Intendant der Berliner Volksbühne, neuer Festivalleiter und bereits ein Jahr später von Frank Hoffmann abgelöst. Dieser nahm 2018 nach 14 Jahren Abschied von den Ruhrfestspielen, seine Aufgaben übernahm Olaf Kröck.
Mit welchen Themen setzen sich die Ruhrfestspiele auseinander?
Die Ruhrfestspiele drehen sich um das kulturelle und politische Weltgeschehen. Als die Hamburger Theater im Nachkriegswinter vor der Schließung standen, konnten sie dank der Kohle aus Recklinghausen und der Solidarität der Bergleute trotzdem spielen. Die ersten Ruhrfestspiele entstanden im Folgejahr aus Dankbarkeit für die spontane Hilfe. Über die Jahrzehnte spielte daher Solidarität die größte Rolle, aber auch Arbeiter- und Freiheitsbewegungen sowie die Kooperation mit jungen Menschen in der Region und der Welt sind bis heute wichtige Themen.
Partizipation begleitet die Solidarität auch auf der Bühne, denn die Zuschauer werden Teil der Projekte. Schon 1974 wagte Hansgünther Heyme während Shakespeares „Macbeth“ etwas damals noch Besonderes und setzte 200 Zuschauer auf die Bühne. Seit einigen Jahren rückt auch eine Theaterkunst in den Fokus, bei der die Menschen der Region Teil einer Produktion werden.
Politisch wuchs der internationale Gedanke bereits in den 1950er Jahren und als die Eigeninszenierung der „Iphigenie auf Tauris“ 1957 vom Auswärtigen Amt in viele europäische Länder gesandt wurde, entwickelten sich die Ruhrfestspiele zu einem vollends internationalen Festival. In den 1990er und 2000er Jahren folgten immer mehr Kooperationen mit Theatern in aller Welt. Seitdem sind internationale Größen des Welttheaters, des Schauspiels, der Musik und Literatur regelmäßig zu Gast in Recklinghausen.