Interaktive Karte In NRW darf man auf 2700 Autobahn-Kilometern rasen

Düsseldorf · Tempolimit oder nicht? Darüber diskutieren Politik, Umweltschützer und Autofahrer. Aktuell darf man auf weit mehr als der Hälfte aller NRW-Autobahnkilometer unbegrenzt schnell fahren - wenn es sich nicht gerade staut.

Tempolimit: Auf diesen NRW-Autobahnen gibt es keine Geschwindigkeitsbegrenzung
Foto: dpa/Sebastian Gollnow

„Mit 130 km/h kommt man auch ans Ziel“, mahnte die Bezirksregierung Köln im September 2017. Gerade hatte Regierungspräsidentin Gisela Walsken (SPD) ein Tempolimit für den Abschnitt Elsdorf – Merzenich auf der A4 bei Aachen beschlossen. Der Entscheidung vorausgegangen waren viele schwere Unfälle mit insgesamt neun Toten und mehreren Schwerverletzten, häufig ausgelöst durch Autofahrer mit „nicht angepasster Geschwindigkeit”, wie es in der Fachsprache heißt. Anders gesagt: Raser nutzten das Fehlen einer Geschwindigkeitsbegrenzung aus, um ordentlich Gas zu geben – mit auffällig häufig tödlichen Folgen. „Wenn wir mit einem Tempolimit von 130 km/h Menschenleben retten können, dann ist das der richtige Weg“, sagte Walsken damals. Seither hat es auf dem Teilstück laut dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat keinen Unfall mit derartigen Folgen mehr gegeben.

Das Thema Tempolimit für Autobahnen bewegt dieser Tage die Deutschen: Politiker und Umweltschützer, Autofahrer und Nicht-Autofahrer. Die Bundesregierung versuchte der Debatte Anfang der Woche ein Ende zu setzen: Man plane kein Tempolimit, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Es gebe „intelligentere“ Maßnahmen für mehr Klimaschutz im Verkehr. Rund 26.000 Autobahnkilometer gibt es in Deutschland, auf knapp über 70 Prozent davon gibt es nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums aus dem Jahr 2015 kein Tempolimit.

Neuere Zahlen mit Stand April 2018 hat das Landesverkehrsministerium für Nordrhein-Westfalen auf Anfrage unserer Redaktion bereitgestellt. Demnach gibt es auf rund 2732 Kilometern der 4440 Autobahn-Kilometer in NRW keine Geschwindigkeitsbegrenzungen – das sind rund 61 Prozent, also weniger als im Bundesdurchschnitt. Was allerdings ob der dichten Besiedlung in weiten Teile des Landes kaum verwunderlich ist: Die 1708 Kilometer mit Begrenzung verteilen sich auf insgesamt 450 Teilstücke, die besonders das Ruhrgebiet, Köln und Düsseldorf betreffen. Also jene Streckenbereiche, die ohnehin nahezu täglich von kilometerlangen Staus belastet sind. Die längste Strecke mit Tempolimit ist die A40 von Mülheim in Richtung Dortmund, dort gilt auf insgesamt 52 Kilometern Tempo 80.

In der Statistik nicht berücksichtigt sind kurzzeitige Beschränkungen durch Kurzzeit-Baustellen oder Wetter-Gefahren. In diesen Fällen können die Sicherheitsbehörden und der Landesbetrieb Straßen.NRW mittels elektronischer Anzeigen kurzfristig reagieren.

Für die Einführung der Tempolimits in NRW sind die fünf Bezirksregierungen Arnsberg, Detmold, Münster, Köln und Düsseldorf zuständig. „Anordnungsgründe sind zum Beispiel Lärmschutz, Stau/Unfallsituation, Trassierung, schadhafte Infrastruktur oder Tunnelsicherheit“, sagt eine Sprecherin des Verkehrsministeriums.

2018 wurden in Köln zwei Limits für die A1 eingeführt, aus Düsseldorf wurde eine Begrenzung auf Tempo 100 für die A3 am Kreuz Breitscheid veranlasst. Die Bezirksregierung Arnsberg führte außerdem ein Tempolimit für den A2-Abschnitt zwischen Henrichenburg und Dortmund-Mengede ein. Dort herrscht seither Tempo 130 – aufgrund besonderer Unfallanfälligkeit. Dieser Grund wird mit Abstand am häufigsten als Ursache für Tempobeschränkungen genannt. Auf über 1000 Autobahn-Kilometern gibt es entsprechende Sicherheitsmaßnahmen.

Verkehrsexperten wie der Duisburger Professor Michael Schreckenberg bezweifeln unterdessen, dass grundsätzliche Tempogrenzen einen Effekt auf die Verkehrssicherheit haben. „Die meisten Unfälle passieren auf Landstraßen, wo es schon heute Tempolimits gibt. Eine umfassende Begrenzung für Autobahnen kann sogar negative Auswirkungen haben“, sagte Schreckenberg unserer Redaktion. „Wer mit 120 auf einer leeren Autobahn unterwegs ist, neigt eher zu Müdigkeit und Ablenkung. Deshalb kann es dort sinnvoll sein, schneller zu fahren.“ ADAC-Sprecher Thomas Müther sagt: „Frankreich oder Belgien, Länder mit genereller Geschwindigkeitsbeschränkung, schneiden beim Sicherheitsniveau schlechter ab als Deutschland.“

Die Verkehrsunfallzahlen des Statistischen Bundesamts bestätigen auf den ersten Blick, dass Tempolimits nicht gleichzeitig weniger Unfälle bedeuten. So gab es 2017 auf NRW-Autobahnen insgesamt 2500 Unfälle mit verletzten Personen auf Abschnitten ohne Begrenzung (59%), demgegenüber stehen 1788 Unfälle auf Abschnitten mit einem Limit (41%). Die Zahlen geben also ein ziemlich genaues Abbild der Tempo-Verhältnisse wieder. Deutlicher unterscheiden sich die Folgen eines Unfalls im Zusammenhang mit Geschwindigkeit: So starben 2017 insgesamt 52 Personen auf Streckenabschnitten ohne Begrenzung (75%), nur 17 in Bereichen mit Limit.

Eine weitere Reduzierung der limitlosen Strecken planen die Bezirksregierungen für 2019 bislang jedoch nicht. „Solche Anordnungen werden nicht geplant, sondern fallweise situationsbedingt entschieden“, heißt es unisono aus allen drei Bezirken. Und weiter: „Solche Anordnungen stellen nicht die Regel dar, sondern sind die Ausnahme.“

Dabei finden Einschränkungen auf unfallträchtigen Strecken auch die Zustimmung von Tempolimit-Skeptikern wie Verkehrsforscher Schreckenberg :    „Grenzen sollten schnellstmöglich überall dort eingeführt werden, wo Gefahrenschwerpunkte festgestellt wurden.“ Und auch ADAC-Sprecher Thomas Müther sagt: „Auch wir sind nicht grundsätzlich gegen Tempolimits. Streckenbezogene Maßnahmen auf unfallträchtigen Abschnitten halten wir für sinnvoll.“

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