Rücktritt des Rekord-Skispringers Schlierenzauer hat mehr als einen leisen Abschied verdient

Meinung | Düsseldorf · Der Rücktritt von Rekord-Weltcupsieger Gregor Schlierenzauer war fällig, sagen viele. Nun verabschiedet der ehrgeizige Österreicher sich fast still und heimlich vom Skispringen. Das hat Stil und doch verdient er mehr.

Das ist Gregor Schlierenzauer
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Das ist Gregor Schlierenzauer

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Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Gregor Schlierenzauer war ein Phänomen, als er als 16-Jähriger in den Skisprungweltcup kam: herausragender Sprungstil, außergewöhnliches Fluggefühl, ein scheinbar unerschütterliches Selbstvertrauen gepaart mit der Unbekümmertheit eines Teenagers auf der einen und der Disziplin eines Spitzenathleten auf der anderen Seite. In Zeiten der ahonschen Dominanz im Skispringen versprühte der junge Österreicher Vorfreude auf eine neue Generation an Überfliegern. Auf Konkurrenz für die Etablierten um Janne Ahonen und Adam Malysz.

Seine ersten Siege in der Saison 2006/07 untermauerten die Hoffnung. Schlierenzauer sprang geradewegs in die Herzen der Fans – und das nicht nur in Österreich. Im Vergleich zu den Superstars der Szene war er der nahbare neue Star. Bodenständig, erfrischend offen und ehrlich. Dass der Jugendliche Schlierenzauer stets von seinen Eltern begleitet und herzerwärmend gefeiert wurde, tat sein Übriges zum Image des netten Jungen von nebenan.

Nun tritt er nach 15 Jahren im Weltcup zurück. Mit Stil. Ohne viel Tamtam, still und doch nicht unbemerkt. Denn seine Erfolge haben ihn zur Legende gemacht. Deswegen hat er einen angemessenen Abschied aus dem Skispringen, das ihm viel zu verdanken hat, verdient.

Den Sieg bei der Vierschanzentournee verpasste er in seiner ersten richtigen Saison bei den Großen zwar knapp, doch der Hype um ihn nahm längst seinen Lauf. Dass Schlierenzauer durchaus auch mal bei Rückschlägen mit Trotz oder deutlichen Worten an die Jury reagierte, steigerte seinen Status als neuer Liebling der Fans nur noch.

Gregor Schlierenzauer in Oberstdorf schwer gestürzt
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Schlierenzauer in Oberstdorf schwer gestürzt

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Foto: dpa, hpl

Wo auch immer der Tiroler hinkam, schrien ihm die Mädchen und Frauen ihre Zuneigung zu. Geduldig, manchmal etwas verlegen, aber nie abweisend nahm er die Liebesbekundungen 30 Jahre älterer Frauen entgegen. Das ging über Jahre so. Nach Platz vier in der ersten und zwei in der zweiten Weltcupsaison gewann er 2008/09 den Gesamtweltcup. Da war er bereits Weltmeister.

Aus dem Jugendlichen Schlierenzauer wurde der Erwachsene Schlierenzauer. Mit der Größe wuchs auch der Ehrgeiz. Während viele als Teenager erfolgreiche Skispringer nach Wachstumsschüben mit ihrer Technik, den längeren Ski und dem anderen Körpergefühl kämpfen, gingen die körperlichen Veränderung bei Schlierenzauer fließend in seine unvergleichliche, erfolgreiche Flugtechnik über. Jahr für Jahr gehörte er zum Kreis derer, die es zu schlagen galt. Er jagte Rekord um Rekord, bis er schließlich der erfolgreichste Weltcupspringer aller Zeiten war. Mit seinen 53 Weltcupsiegen wird er lange unerreicht bleiben.

Überflieger gibt es im Skispringen immer wieder, aber kaum einer kann sich über einen Zeitraum von acht Jahren konstant derart absetzen, wie es Schlierenzauer gelungen ist. Es mutet schon fast unwirklich an, dass er bei all der Dominanz nur zwei Mal den Gesamtweltcup und die Vierschenzentournee gewann. Oft gab es da eben dann doch immer diesen einen Konkurrenten, der für eine Saison alle anderen übertrumpfte, auch Schlierenzauer. Das unterstreicht gleichzeitig die Besonderheit seines Daueraufenthalts in der Weltspitze.

Schlierenzauer hat eine ganze Generation im Skispringen geprägt, auf der Schanze, in den Skigymnasien und auf den Zuschauerrängen. Dass die Sportart ihre Popularität bei den Fans nochmal steigerte, ist auch sein Verdienst.

Der Österreicher war nie ein glattgebügelter Profisportler, der versuchte sein Image sauber zu halten. Seinen unbändigen Siegeswillen und seinen Ehrgeiz versuchte er gar nicht erst zu verbergen. Beides führte ihn immer mal wieder auch zu Fehlurteilen über aus seiner Sicht unfaire Bedingungen, falsche Jury- oder Trainerentscheidungen. Sein Konkurrenzkampf mit Teamkollege Thomas Morgenstern bewegte über Jahre die Fans. Schlierenzauer war stets für Schlagzeilen gut. Er hat polarisiert. Er war ein Vorbild, an dem sich die Leute auch reiben konnten. Er hat mit seine Strahlkraft aber auch für Proteste gegen gefährliche Bedingungen auf der Schanze und unbeliebte Regeländerungen genutzt - oft mit Erfolg. Auch das ist sein Erbe an das Skispringen.

Einfach aufgeben liegt nicht in seiner Natur. Das hat er spätestens mit den ausbleibenden Erfolgen ab der Saison 2015 gezeigt. Mentale Probleme ließen ihn zwar die Saison 2016 abbrechen, Verletzungen warfen ihn erneut zurück, doch Schlierenzauer kämpfte sich immer zurück. Unermüdlich versuchte er Jahr für Jahr an seine Erfolge anzuknüpfen. Das gelang nur phasenweise. Zuletzt merkte man ihm an, dass der Will da war, der Spaß nicht mehr. In diesem Jahr gehörte er nicht zum A-Kader des Österreichischen Skiverbands. Da bahnte sich das Karriereende schon an.

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Foto: dpa/Daniel Karmann

Nun hat er bei Instagram seinen Rücktritt verkündet. Ungewöhnlich still für den Gregor Schlierenzauer der ersten Jahre, wenig überraschend für den stillen Kämpfer der vergangenen Jahre. Und doch hat er für seine Verdienste im Skispringen einen größeren Abschied verdient. Das alleine zeigen schon die Reaktionen seiner Weggefährten, der aktuellen Skisprungelite. Fast alle posteten gemeinsame Bilder, gratulierten zur Karriere, rühmten die Legende Schlierenzauer.

Diese Verdienste, die Erfolge, das Image sollte auch der Weltverband nicht vergessen.

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