Skispringer geht in Rente Martin Schmitt springt nicht mehr
Willingen · Der Mann mit dem lila Helm macht nach 17 Jahren Schluss mit dem Profisport. Eine Trainerkarriere könnte folgen.
So viel hat Martin Schmitt in all den Jahren gesprochen. Tausende Sprünge hat er kommentiert. Über sportliche Perspektiven, über technische Herausforderungen, über die eigene Fitness hat er gesprochen. Als der Pressemann des Deutschen Skiverbandes ihn nun aber bittet, ein paar Worte zu seinem Abschied zu sprechen, stockt er. "Also, ähh", sagt er, "ich weiß gar nicht, was ich da sagen soll. Oder nein, ich könnte stundenlang reden."
Der Moment des Abschieds geht nicht spurlos an dem Mann vorbei, der am Mittwoch 36 Jahre alt geworden ist und nun als ehemaliger Skispringer firmiert. Er hatte ausreichend Zeit, sich auf diesen Augenblick vorzubereiten. Seit dem Neujahrsspringen in Partenkirchen war er nicht mehr am Start. Die Qualifikation für die Olympischen Spiele, die er sich als letztes großes Ziel vorgenommen hatte, die Chance auf eine Medaille ist seit Wochen passé. Und doch ist es wohl nicht so einfach, wenn nach 17 Jahren im Leistungssport die Sekunde gekommen ist, in der der Satz raus muss: "Ich beende meine Laufbahn im Weltcup."
In Schmitt verabschiedet sich nach der Biathletin Magdalena Neuner und der Eisschnellläuferin Anni Friesinger wieder eine große Figur des deutschen Wintersports. Vier Weltmeistertitel, Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen, 28 Siege in Weltcupspringen — die Zahlen drücken seine Bedeutung nur unzureichend aus. Martin Schmitt hat zusammen mit Sven Hannawald, der seine Karriere vor zehn Jahren wegen psychischer Probleme beenden musste, für den Skisprung-Boom zur Jahrtausendwende gesorgt. Die Einschaltquoten der übertragenden Sender kletterten damals in den zweistelligen Millionenbereich. Die Fans — zum Großteil jung und weiblich — feierten die Springer wie Popstars.
Es gibt für einen Abschied keinen besseren Ort als Willingen, wenn man an diese großen Zeiten erinnern möchte. "Hier war immer die große Party", sagte Schmitt. 1999 Zum Beispiel feierten ihn 36 000 Zuschauer, als er Platz zwei im Weltcupspringen auf der Schanze im Strycktal belegte. Das Skispringen erreichte im nordhessischen Upland Zuschauerzahlen wie der Fußball.
Ein bisschen hat Schmitt mit dem Gedanken gespielt, hier an diesem Wochenende noch einmal zu springen. Doch dazu, das muss er sich eingestehen, reicht die Form nicht mehr. Während sich die Konkurrenten eine Woche vor dem Beginn der Spiele in Sotschi auf dem Höhepunkt der Schaffenskraft befinden, ließ er es schleifen, als er Anfang Januar feststellte, dass er keine weiteren Ziele mehr verfolgen konnte. Also springt er nicht. Zwischen dem ersten und zweiten Durchgang des Weltcups heute Nachmittag bekommt er Ehrengaben des Deutschen Skiverbands, noch einmal darf er sich vom Publikum feiern lassen. Das war's.
Sein letzter Sieg in einem Weltcupspringen liegt bald zwölf Jahre zurück. Immer wieder hatte er versucht, an die guten Tagen anzuschließen. Er hatte sich auf immer neue technische Entwicklungen eingelassen, sich auf neue Regeln eingestellt, mit Verletzungen gekämpft und es mit immer anderen Konkurrenten aufgenommen. Tatsächlich feierte er Achtungserfolge, 2009 zum Beispiel, als er im tschechischen Liberec noch einmal Vizeweltmeister auf der Großschanze wurde. Manchmal wirkte er wie ein Besessener bei der Jagd nach den alten Zeiten. Er liebt seinen Sport. Und er hat — was nicht verboten ist — auch immer gut verdient. Der lila Helm und die lila Mütze entwickelten sich in 15 Jahren Werbepartnerschaft fast zu Körperteilen.
Und nun? Seine Ausbildung an der Trainerakademie in Köln läuft noch bis Oktober 2015. Beim Deutschen Skiverband stehen die Türen für ihn offen, wie Präsident Franz Steinle noch einmal betonte. Doch Schmitt will erst einmal Abstand gewinnen, sich klar werden über seinen künftigen Weg.
Der Versuchung eines Comebacks wird er eher nicht erliegen — auch wenn der Japaner Noriaki Kasai gerade zeigt, dass man auch jenseits der 40 noch Weltcupspringen gewinnen kann. "Dazu fehlt mir die Energie", meint Schmitt. Es ginge dann ja nicht um einzelne Wettbewerbe, sondern um eine ganze Saison mit monatelanger Vorbereitung. Das liegt nun hinter ihm. Und ein bisschen scheint er es zu bedauern.