Interview mit Leon Draisaitl "Ich will mir meinen Namen selbst verdienen"
Köln · Leon Draisaitl ist in der vergangenen Woche mit den Edmonton Oilers in seine vierte NHL-Saison gestartet. Nach dem Einzug in die Play-offs und dem persönlichen Durchbruch mit 93 Scorerpunkten in der vergangenen Spielzeit zählt der 21-Jährige zu den Stars der Liga und sein Klub zu den Titelkandidaten.
Leon Draisaitl, Sie haben im Mai im WM-Viertelfinale in Köln Ihr 114. Saisonspiel bestritten. Wie haben Sie sich im Sommer von diesem Mammutprogramm erholt?
Leon Draisaitl: Es war eine sehr, sehr anstrengende Saison. Aber es hat auch sehr viel Spaß gemacht. Ich habe mir ein paar Wochen Zeit zum Relaxen genommen - mit der Familie, die ich nicht so oft sehe.
In Ihrer Heimatstadt Köln können Sie auf die Straße gehen, ohne dass Sie angesprochen werden?
Draisaitl: Ja, mit Sicherheit.
In Edmonton ist das anders, oder?
Draisaitl: Komplett. Da werde ich andauernd erkannt - überall, von jedem. Die Eishockey-Begeisterung dort ist riesig. Noch größer als in Deutschland beim Fußball.
Mit den Oilers waren Sie in der vergangenen Saison 110.000 Kilometer im Flugzeug unterwegs. Wie kommt man damit klar?
Draisaitl: Es ist nicht das Fliegen, wie man es aus dem Alltag kennt. Du hast zum Glück viele Freiheiten, du kannst schlafen, aufstehen, wann du willst, hast sehr bequeme Sitze. Es ist nicht so schlimm, aber du reist schon sehr viel.
Edmonton ist zum ersten Mal nach zehn Jahren wieder in die Play-offs gekommen. Wie hoch sind die Erwartungen für die neue Saison?
Draisaitl: Die Euphorie war riesig. Natürlich will man mehr im nächsten Jahr. Erst recht bei den Oilers, die früher mit Wayne Gretzky so unglaublich erfolgreich waren. Da wird Gewinnen immer gefordert, das ist völlig verständlich.
Das kanadische Fachblatt Hockey News hat das Stanley-Cup-Finale Edmonton gegen die Pittsburgh Penguins prognostiziert. Was halten Sie davon?
Draisaitl: Natürlich wäre es super, wenn es so kommen würde. Das wünscht sich auch jeder. Aber es ist absolut zu früh, so etwas zu sagen. Wir müssen erst mal sehen, wie wir in die Saison starten, und unsere Qualität aufs Eis bringen.
Ihr Kapitän Connor McDavid hat nach dem Aus in der zweiten Runde gesagt, man müsse erst lernen zu verlieren, ehe man etwas Großes gewinnen kann. Hat er recht?
Draisaitl: Auf jeden Fall. Es war für uns eine sehr, sehr lehrreiche Geschichte. Wir haben ein relativ junges Team, es hat uns weitergebracht, diese Höhen und Tiefen in den Play-offs zu erleben. Hoffentlich macht es uns besser für die nächsten Jahre.
Gilt das auch für Sie persönlich? Ihre ersten zwei NHL-Jahre liefen nicht so, wie Sie es sich vorgestellt hatten. Sie mussten runter in die AHL. War es im Rückblick gar nicht so verkehrt, wie es gelaufen ist?
Draisaitl: Das ist im Nachhinein immer einfach zu sagen. Aber vielleicht habe ich es gebraucht.
Viele Fachleute sehen Sie zusammen mit McDavid als das Duo der Zukunft in der NHL. Es gibt Vergleiche mit Sidney Crosby und Jewgeni Malkin in Pittsburgh, mit Patrick Kane und Jonathan Toews in Chicago - Spieler, die ihren Klubs in den letzten neun Jahren zu sechs Stanley-Cup-Triumphen verholfen haben. Ist es eine Ehre - oder Druck?
Draisaitl: Natürlich ist es cool, wenn man mit solchen Jungs verglichen wird. Aber man probiert doch, sich selbst einen Namen zu machen. Ich will nicht Malkin sein, genauso wenig möchte McDavid Crosby sein. Ich will ich selbst sein und mir meinen Namen selbst verdienen und erarbeiten.
McDavid ist nach seiner 100-Punkte-Saison der neue Superstar der NHL. Was für ein Typ ist er?
Draisaitl: Er ist ein super Junge, auf dem Boden geblieben, sehr professionell. Und auf dem Eis - darüber brauche ich nicht viel zu sagen, das weiß jeder.
Wie kommen Sie abseits des Eises mit ihm aus?
Draisaitl: Sehr gut, wir sind sehr eng befreundet, machen eigentlich alles zusammen und verstehen uns blendend.
Wer sind die härtesten Konkurrenten um den Stanley Cup?
Draisaitl: Eigentlich immer die gleichen: Pittsburgh, Anaheim. Aber es ist noch zu früh, das zu sagen. Von uns hat in der letzten Saison auch keiner erwartet, dass wir in die Play-offs kommen. Und wir waren nur einen Sieg vom Halbfinale entfernt.
Sie haben im Sommer einen Achtjahresvertrag über 68 Millionen Dollar unterschrieben. Was bedeutet Ihnen das?
Draisaitl: Natürlich bin ich sehr, sehr froh. Meine Agenten haben gut gearbeitet. Ich freue mich, dass ich acht Jahre lang mit dieser Truppe zusammenspielen kann.
Sie sind damit der bestbezahlte deutsche Eishockeyspieler der Geschichte.
Draisaitl: Ich überlasse es den Medien, darüber zu schreiben und zu reden. Ich persönlich halte mich da zurück.
Sie haben vor dem Draft 2014 gesagt, Sie wollen das Gesicht der Sportart werden. Haben Sie das schon erreicht? Bei der Heim-WM in Köln war der Hype ja groß.
Draisaitl: Natürlich merkt man das. Ich habe immer gesagt: Wenn ich dadurch helfen kann, Kinder in Deutschland für Eishockey zu begeistern, dann mache ich es liebend gerne. Vielleicht habe ich ein paar schon dazu gebracht, Eishockey statt Fußball zu spielen.
Nicht helfen können Sie dem deutschen Eishockey bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang. Nervt Sie das?
Draisaitl: Es ist schon sehr bitter. Ich habe mich schon öfter mit meinem Vater darüber unterhalten. Er hat dreimal bei Olympia gespielt und gesagt, dass es das Geilste ist, das es gibt - die ganze Atmosphäre, das Drumherum. Man spürt es sogar über den Fernseher. Deshalb ist es sehr schade, vor allem als Deutscher, weil du nicht weißt, ob du es nochmal schaffst.
Als gebürtiger Kölner sind Sie auch Fußballfan und haben den Transferwahnsinn im Sommer um Neymar und seine 222-Millionen-Euro-Ablöse mitbekommen. Geht alles aus den Fugen?
Draisaitl: Die Summen sind schon extrem. Aber ich bin nicht so tief im Fußball, dass mich das stört.
Sie kennen aus eigener Erfahrung das nordamerikanische Sportsystem, das ganz anders funktioniert. Jetzt gibt es im Fußball Vorschläge, Elemente wie den Salary Cap zu übernehmen, um die Zahlen wieder auf ein normales Niveau zu bringen. Was kann man aus den USA und Kanada lernen?
Draisaitl: Ich finde das System drüben sehr gut. Es ist fair. Beim Draft beispielsweise: Die schlechteste Mannschaft kriegt den besten Spieler. Aber ich weiß nicht, ob Bayern es so gut findet, wenn beispielsweise Mainz genauso viel ausgeben darf.