NFL in München Zuerst das Event, dann der Sport – das muss sich ändern

Meinung | München · Das erste NFL-Spiel in Deutschland zwischen den Tampa Bay Buccaneers und den Seattle Seahawks war ein tolles Event, an das sich alle, die da waren, sicher noch lange erinnern. Dass das Spiel am Ende auch gut war, hat aber wohl nicht jeder mitbekommen.

 Rachaad White (29) von den Buccaneers läuft mit dem Ball, verfolgt von Seattles Quandre Diggs.

Rachaad White (29) von den Buccaneers läuft mit dem Ball, verfolgt von Seattles Quandre Diggs.

Foto: AP/Gary McCullough

Wie so ziemlich jeder Trainer oder Spieler lobte auch Superstar Tom Brady am Sonntagabend die Zuschauer in der Münchner Allianz Arena beim ersten NFL-Spiel in Deutschland. Einen Moment hob er dabei besonders hervor: Als die knapp 70.000 aus voller Kehle „Country Roads“ von John Denver sangen. „Episch“ sei dieser Moment gewesen. Sicher, er war ganz besonders, auch dank der zigtausend Handy-Lichter, die für ein tolles Bild sorgten. Doch er zeigte auch, was dieses Spiel für die allermeisten der Fans in erster Linie war: ein Event.

Denn dieser Moment ereignete sich genau zwei Minuten vor Schluss, also während der „Two-Minute-Warning“, bei der es nochmal eine Unterbrechung gibt. Die Tampa Bay Buccaneers waren nur noch knapp vorne und hatten den Ball, die Seattle Seahawks versuchten, nochmal selbst mit der Offensive aufs Feld zu kommen, um das 16:21 doch noch zu drehen. Es war also spannend. Im ersten Spielzug nach der Two-Minute-Marning lief Tampas Rachaad White dann für 18 Yards, blieb sogar schlauerweise im Feld, damit die Uhr weiterlief, und entschied damit das Spiel. Seattle hatte nun keine Chance mehr, das Auslaufen der Spielzeit zu verhindern. Eine vernehmbare Reaktion darauf gab es im Stadion jedoch nicht - zu viele waren noch damit beschäftigt, den Gassenhauer weiter zu schmettern.

Football ist ja auch ein Event, mag so mancher jetzt sagen. Vor allem in den USA. Stimmt. Doch dort bekommt man es hin, den Fokus trotzdem erst einmal aufs Spiel zu legen. Das ist am Sonntag in München nur teilweise gelungen. Für die meisten wird vor allem das Erlebnis in Erinnerung bleiben. Die wenigsten wissen wahrscheinlich jetzt noch Seattles - wenn auch zu späte - Aufholjagd zu schätzen, bei der Geno Smith gerade auf dem Weg zum zweiten Touchdown mehrere überragende Würfe beim vierten Versuch zeigte. Und auch kaum jemand wird sich während des Spiels gedacht haben, dass das Laufspiel der Buccaneers plötzlich viel besser funktioniert hat als zuletzt und dass das ein wichtiger Faktor zum Sieg war.

Überraschend ist das indes nicht. Ein nicht unwesentlicher Teil der deutschen Football-Community ist in den vergangenen zehn, elf Jahren Fan geworden, als ProsiebenSat.1 den Sport mit seiner Sendung „ranNFL“ regelmäßig ins Free-TV brachte. Dort spielen die Personen abseits des Spiels eine sehr große Rolle. Das gefällt nicht jedem Football-Fan, viele schauen lieber Dazn oder kaufen sich den „Gamepass“ der NFL. „Ran“ hat den Football in Deutschland zweifelsfrei massentauglich und größer gemacht, doch was zurecht kritisiert wird, ist der etwas abhandenkommende Fokus aufs Wesentliche: das Spiel.

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Foto: dpa/Sven Hoppe

Aber zurück nach München und zu einem Publikum, das natürlich nicht nur aus Seahawks- und Buccaneers-Fans bestand, sondern aus Anhängern von allen 32 Teams der NFL. Ein großer Teil genoss das Spiel - oder eben das Event - aus neutraler Perspektive und war dann eher bei „Country Roads“ dabei als beim Lärm, den man üblicherweise macht, wenn das gegnerische Team beim dritten Versuch steht. Oder bei Micki Krause. „Es fühlte sich anders an“, meinte deshalb auch Seahawks-Quarterback Geno Smith, nachdem er auf die Atmosphäre angesprochen wurde. Wie auch alle anderen, die später auf den Pressekonferenzen erschienen, bezeichnete er die Stimmung danach noch als „großartig“ und „elektrisierend“. In der Wortwahl ähnelten sich alle Spieler und Trainer sehr.

Sie werden es auch nicht nur aus Nettigkeit gesagt haben. Denn unter dem Strich war es ein tolles Erlebnis in der Allianz Arena und Deutschland hat der NFL gezeigt, dass sie hier willkommen ist und dass sie hier bedenkenlos Spiele austragen kann. Mit der Zeit wird dann vielleicht auch das Gefühl für das Spiel an sich ein besseres und der Stadion-DJ verliert an Wichtigkeit. Es wäre wünschenswert, denn der Sport an sich hat allein schon genug zu bieten.

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