Tom Brady gegen Geno Smith Das Duell zweier ungleicher Quarterbacks

München · Unterschiedlicher hätten die Karrieren von Tom Brady und Geno Smith nicht verlaufen können. In München, wo die Quarterbacks im Duell der Seattle Seahawks und Tampa Bay Buccaneers aufeinandertreffen, begegnen sie sich nun aber auf Augenhöhe.

 Tom Brady nach einem Spiel mit den Buccaneers in Carolina.

Tom Brady nach einem Spiel mit den Buccaneers in Carolina.

Foto: AP/Rusty Jones

Geno Smith setzte sich die grüne Kappe mit dem New-York-Jets-Logo auf und machte eine lässige Handbewegung Richtung Publikum, als er im Frühjahr 2013 unter großem Applaus die Bühne des NFL-Drafts, bei dem die College-Spieler auf die Teams verteilt werden, betrat. Er war in der zweiten Runde von den Jets ausgewählt worden – und in ihn wurden viele Hoffnungen gesetzt.

Bei Tom Brady war das im Jahr 2000 gänzlich anders gewesen. Er wurde erst in der sechsten Runde von den New England Patriots ausgewählt. In dieser vorletzten Runde gibt es keine Bühne und kein Publikum mehr. Vorgesehen war er zunächst als Ersatzmann. Immerhin waren die Worte der damaligen TV-Moderatoren von ESPN durchaus wohlwollend, als bekannt wurde, dass Brady zu den Patriots gehen würde.

Die Karrieren der beiden verliefen danach allerdings entgegengesetzt zu dem, was der Draft für sie parat gehalten hatte. Während Smith den Jets nicht den erhofften Erfolg bringen konnte und irgendwann bei mehreren Teams nur noch auf der Bank saß, entwickelte sich Brady zum erfolgreichsten Spieler der NFL-Geschichte, der sieben Mal den Super Bowl gewann und auch sonst Rekord um Rekord aufstellte.

Wenn die beiden am Sonntag in der Münchner Allianz Arena mit ihren jetzigen Teams, den Seattle Seahawks (Smith) und Tampa Bay Buccaneers (Brady) aufeinandertreffen und das erste reguläre Saisonspiel der NFL in Deutschland bestreiten, haben sich die Zeiten indes ein weiteres Mal geändert.

 Geno Smith jubelt nach dem Sieg der Seahawks in Arizona.

Geno Smith jubelt nach dem Sieg der Seahawks in Arizona.

Foto: AP/Matt York

In Seattle ist in diesem Jahr eine neue Zeit angebrochen. Russell Wilson, über Jahre hinweg das Gesicht des Teams, wurde nach zuletzt eher komplizierter Beziehung nach Denver abgegeben. Fortan sollte Smith, zuletzt Wilsons Ersatzmann, das Zepter als Quarterback, der nun mal mit Abstand wichtigsten Position, übernehmen. Begleitet wurde die Entscheidung mit viel Skepsis. Anfangs. Nach neun Spielen ist Smith einer der besten Spielmacher der Liga und Offensivakteur des Monats Oktober. Er ist gar im Rennen um den MVP, den wertvollsten Spieler der NFL, für diese Saison.

Ein Titel, den Brady schon dreimal abgeräumt hat. In seiner Karriere finden sich keine großen Dellen wie bei Smith, der nach knapp zwei Saisons in New York degradiert wurde und erst seit diesem Jahr wieder Stammspieler ist. Brady profitierte in seiner zweiten Saison, 2001, von einer Verletzung des Patriots-Quarterbacks Drew Bledsoe und gab seinen Posten danach nicht mehr her. 2020 wechselte er nach Tampa Bay und gewann direkt mal den Super Bowl. 2022 dann der Rücktritt. Einige Wochen später der Rücktritt vom Rücktritt. „Ich habe realisiert, dass mein Platz immer noch auf dem Feld ist und nicht auf der Tribüne“, schrieb er im März. Er habe noch „unerledigte Geschäfte“.

NFL in München: So lief die Saison der Seattle Seahawks bisher​
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So lief die Saison der Seattle Seahawks bisher

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Foto: AP/Mark J. Terrill

Damit kann eigentlich nur eine achte Super-Bowl-Trophäe gemeint gewesen sein. Die Buccaneers sind auch als Favorit für den Titelgewinn in die Saison gegangen. Sie führen momentan zwar auch ihre Division an und würden Stand heute in die Play-offs einziehen, doch vier Siege bei fünf Niederlagen sind nicht der Anspruch Bradys oder des Teams. Vor allem die Offensive um den 45-jährigen Altmeister hat in diesem Jahr große Probleme.

Die hätte man eher bei den Seahawks erwartet. Schließlich saß Smith vor dieser Saison sechs Jahre lang fast ausschließlich auf der Bank. Die Frage, die sich nun stellt, ist: Kann ein Quarterback auch ohne Spielpraxis besser werden? Offensichtlich ja. Smith arbeitet hat, bereitet sich akribisch vor, damit hat er auch als Ersatzmann nicht aufgehört. Zudem hat er jetzt viel Erfahrung, wenn auch nicht so viel auf dem Feld: Der 32-Jährige hat in seiner Karriere 54 Spiele absolviert, Brady 327. Doch Smith weiß jetzt, wie es läuft. Und er spielt in einem Team, dessen Offensiv-Koordinator Shane Waldron einen Angriff zusammengestellt hat, der für gegnerische Teams schwierig zu entschlüsseln und zu verteidigen ist. Smith führt ihn exzellent aus. „Was für eine tolle Geschichte für den Jungen“, sagte Seattles Cheftrainer Pete Carroll kürzlich über Smith: „Er ist einfach drangeblieben und hat es überstanden. Jetzt genießt er all den Spaß.“

NFL in München: So wird die Allianz Arena umgebaut
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Umbauarbeiten in der Allianz Arena

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Foto: AP/Matthias Schrader

Auch etwas, dass Smith und Brady unterscheidet: Während der eine nichts zu verlieren hat und einfach seine zweite Chance nutzt, die ihm gegeben wurde, wirkt der Rücktritt vom Rücktritt des anderen inzwischen wie ein Fehler. Es läuft nicht recht mit den Buccaneers und die Ehe mit Model Gisele Bündchen ist hin, wobei diese so schnelle Rückkehr auf die NFL-Bühne eine Rolle gespielt haben soll. Smith hat momentan einfach die Zeit seines Lebens, während Brady verbissener denn je unbedingt diesen Erfolg braucht. Auch am Sonntag.

Denn auch für die Play-offs ist das Duell der Seahawks und der Buccaneers nicht unbedeutend. Beide spielen in der National Football Conference (NFC) um eines der sieben Tickets. Wenn beide am Ende der Saison mit der gleichen Anzahl an Siegen dastehen, entscheidet dieses direkte Duell von München, wer die Nase vorn hat. Sofern beide ihre Division gewinnen (Tampa im Süden, Seattle im Westen), ginge es nur um eine bessere Ausgangsposition wie den Heimvorteil. Falls sie das nicht schaffen, könnte es auch darum gehen, wer in die Play-offs einzieht und wer nicht.

Das Verpassen der Play-offs würde für Brady das erste Mal seit 2008 sein. Einer Saison, die er verletzungsbedingt fast komplett verpasst hatte. Der fitte Stammspieler Tom Brady verpasste nur 2002 die Play-offs. Dass Erreichen dieser wäre für Smith eine Premiere. Es ist eben das Duell zweier ungleicher Quarterbacks mit völlig unterschiedlichen Karrieren. In München begegnen sie sich zum fünften Mal als Gegner auf dem Feld – und erstmals auf Augenhöhe.

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