Dirk Nowitzki und Tyson Chandler With a little help from my friend

Dallas · Die Dallas Mavericks sind stark in die NBA-Saison gestartet. Weil der Künstler Dirk Nowitzki Hilfe vom Müllmann Tyson Chandler bekommt. In ihrer einzigen gemeinsamen Saison zuvor hatten sie 2011 den Titel geholt.

 Ergänzen einander spielerisch und charakterlich: Dirk Nowitzki und der zu dieser Saison nach Dallas zurückgeholte Tyson Chandler.

Ergänzen einander spielerisch und charakterlich: Dirk Nowitzki und der zu dieser Saison nach Dallas zurückgeholte Tyson Chandler.

Foto: ap

Mit dem psychologisch ungünstigen Zeitpunkt für Gegentreffer ist es so eine Sache. Im Fußball umfasst er etwa die letzten fünf Minuten eines Spiels. Das bekanntlich 90 Minuten dauert. Ein NBA-Spiel hingegen läuft theoretisch nur 48 Minuten — die sich aber praktisch durch dutzende, zehntelsekundengenau gestoppter Unterbrechungen bis zu zweieinhalb Stunden hinziehen. "Bei all den strategischen Fouls, taktischen Änderungen und Werbespots sollte Stephen Hawking die Zeit am Beispiel der Schlussphase eines NBA-Spiels neu untersuchen", lästert selbst die ehrwürdige "New York Times".

Umso bitterer ist es, 0,9 Sekunden vor dem erlösenden Ertönen der Schlusssirene den Ausgleich zu kassieren, nachdem das eigene Team zuvor einen Freiwurf vergeben hatte. So begab es sich am Mittwoch im Spiel der Dallas Mavericks gegen die New York Knicks — und bei dieser Ausgangslage hätten sie in der Verlängerung in den vergangenen drei Saisons unter Garantie verloren.

Denn Dirk Nowitzki ist ein herausragender Spieler und in einem mühsamen Prozess auch zu einem Anführer gereift, aber auch seine Beiträge zum Teamerfolg sind limitiert. Nun jedoch ist ein Mann zurück an seiner Seite, der ihn komplettiert, spielerisch wie charakterlich: Tyson Chandler. In seiner ersten und einzigen Spielzeit mit Dallas war der Center auf und neben dem Platz eine Schlüsselfigur beim Gewinn des NBA-Titels 2011. Das jüngste Duell gegen New York endete mit 109:102 nach Verlängerung für Dallas, es war der elfte Sieg im 16. Spiel. Dank des vielfältigen Wirkens von Tyson Chandler.

Für Fußballfans: Er ist Matthias Sammer im Körper von Zlatan Ibrahimovic mit dem Spiel von Manuel Neuer und Dante.

Chandler ist ein geborener Leader

Dirk Nowitzki sammelte gegen New York 30 Punkte, traf aber aus der Distanz (1 von 8) genau so unterirdisch wie der Rest des Teams (4 von 31). Dieses Defizit glich Chandler im Nahkampf unter den Körben im Alleingang wieder aus. 25 Rebounds sicherte er sich — der fünfthöchste Wert der Mavericks-Geschichte überhaupt. Dazu erzielte der gern auf seine Defensivqualitäten reduzierte Center starke 17 Punkte — meist mit krachenden Dunks. Die ersten Mavericks-Punkte gegen New York kamen so zustande, die letzten wirklich wichtigen auch. 53 Mal hat er inzwischen insgesamt per Dunk gepunktet, öfter als jeder andere Spieler der Liga.

An jenem Abend war Chandler besonders motiviert. Für den Gegner New York war er in den vergangenen drei Jahren aufgelaufen, weil die Mavericks nach dem Titelgewinn zu geizig gewesen waren, um ihn zu halten. Kaum aber war sein Wechsel zurück nach Dallas in trockenen Tüchern, traten die dauerkriselnden Knicks gegen ihn nach. Unprofessionell habe er sich in New York verhalten, kein guter Mannschaftskamerad sei er gewesen. Chandler war persönlich getroffen. Und brannte darauf, seine Antwort auf dem Parkett zu geben. "Wir haben vor dem Spiel darüber diskutiert, ob wir ihn nicht besser mit einem Betäubungsgewehr beschießen sollten", witzelte Nowitzki nachher.

Das Beste an Chandler ist indes, dass er keine Extra-Motivation braucht. Und sicherstellt, dass es den anderen Mavericks genau so geht. Chandler personifiziert den Typ Profi, der eine willige Mannschaft hart aber herzlich auf das nächste Level heben kann. Tag für Tag führt er einen erbitterten Kampf gegen den Schlendrian. Er spricht ungefiltert aus, wer welche Fehler gemacht hat — und zwar laut. Er faucht, brüllt, gestikuliert. In der Kabine, während der Auszeiten und auch im laufenden Spiel.

Kein Fehler bleibt unbemerkt, spätestens bei der Videoanalyse weist Chandler seine Mitspieler auf jedes Versäumnis hin, fordert Einsicht und Verbesserung ein: "Auf dem Platz kann man sich manchmal verstecken", sagt Chandler. "Auf einem Videobild klappt das nicht." Diese Art Führungsverhalten fehlte in Dallas bislang. Nowitzki ist ein gelernter Leader, Chandler ein geborener. Nowitzki lebt Exzellenz vor, bleibt aber letztlich darauf angewiesen, dass ihm seine Mitspieler nacheifern. Chandler ist aktiver. Er erzwingt dieses Nachmachen und damit den Erfolg. Er lässt schlicht nicht zu, dass Dallas gewinnbare Partien verliert.

Nowitzki ist ein Künstler, Chandler ein Müllmann

Sein Spiel ist das Gegenteil von dem des Deutschen. Nowitzki vermeidet Körperkontakt, spart Energie, findet kleinste Lücken, um seinen wie gemalten Wurf fliegen zu lassen. Chandler tankt sich durch dorthin, wo es weh tut, erkämpft den Ball — und passt ihn sofort weiter zu einem Mitspieler. Er ringt mit den anderen keuchenden, schwitzenden, grunzenden Muskelmännern. Um Lücken zu reißen, die nur selten je direkt genutzt werden. Für seine Mitspieler. Nur wenn denen nichts gelingt, bekommt er selbst den Ball, fängt ihn in der Luft und rammt ihn mit maximaler Effizienz in den Korb.

Er verwertet Reste. Dirk Nowitzki ist ein Künstler. Tyson Chandler ist ein Müllmann.

Auch weil Chandler mit seinen Ballgewinnen stetig zweite und dritte Chancen schafft, läuft die Offensive der "neuen" Mavericks trotz geringer Eingewöhnungszeit auf Hochtouren: Mit 140:106 schossen sie etwa die L.A. Lakers aus der Halle — sensationell, auch wenn die in der größten Krise ihrer Geschichte stecken. Kobe Bryant nannte Dallas' Spielweise im typischen, militaristisch geprägten US-Sport-Slang beeindruckt "Blitzkrieg".

109,1 Punkte erzielen die Mavericks im Schnitt pro Partie, mehr als jede andere Mannschaft. Rund 24 Assists, also direkte Korbvorlagen, sind der fünfttbeste Wert der Liga. Die Defensive ist trotz Chandler noch eine Baustelle. Rund 100 Punkte lässt sich Dallas einschenken — jeder zweite Konkurrent verteidigt besser. So weit, so normal für eine personell veränderte Mannschaft. Die Einstellung aber stimmt. "Erschreckend. Ekelhaft. Mehr fällt mir dazu nicht ein", hatte Nowitzki nur zwei Tage vor dem Spiel gegen New York zu einer unnötigen Niederlage gesagt.

Coach Rick Carlisle gibt zu: "Auf dem Papier sind wir in der Defensive keine gute Mannschaft." Deshalb müssten die Einzelspieler ihre Schwächen durch Laufarbeit, Cleverness und Disziplin ausgleichen. Mit der letzten Mannschaft um die Pole Nowitzki und Chandler hat das geklappt.

Top-Favorit auf den NBA-Titel bleibt Dallas' Erzgegner aus dem benachbarten San Antonio, der amtierende Meister. Doch den hatten die Mavericks schon in den Playoffs 2013 in ein siebtes Spiel gezwungen. Mit einem schwächeren Kader. Ohne Tyson Chandler.

(tojo)
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