NBA-Triumph vor zehn Jahren Als der Verlierer Dirk Nowitzki alles gewann

Analyse | Dallas · Vor zehn Jahren warf der Würzburger sein Team aus anderswo ungewollten Spielern zum NBA-Titel. Das verzückte Fans weltweit – vor allem im Bewusstsein der vielen vorherigen Tiefschläge, die heute längst vergessen sind.

Dirk Nowitzki – Würzburger, Basketball-Star, NBA-Legende
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Das ist Dirk Nowitzki

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Dass die Geschichte von Siegern geschrieben wird, war für den heute längst unantastbaren Dirk Nowitzki bis vor zehn Jahren ein massives Problem. Dass er Deutschland zu EM-Silber und WM-Bronze sowie zu den Olympischen Spielen geworfen hatte? Nichts wert. Dass er die Dallas Mavericks fast im Alleingang zum Titelanwärter gemacht hatte? Irrelevant. Denn zum NBA-Titel hatte er das Team eben noch nicht geführt – und das würde er auch nicht mehr tun.

Dass Nowitzkis „Titel-Fenster“ geschlossen war, galt als Fakt. Praktisch jeder Fan in der Stadt habe damals einer von zwei Gruppen angehört, schreibt der Sportreporter Bob Sturm aus Dallas in seinem Buch „This Year is different – How the Mavs won it all“. „Eine Gruppe machte sich lustig darüber, dass es Dirks Schicksal wäre, nie einen Titel zu gewinnen. Die andere störte sich nicht daran – akzeptierte aber auch, dass es so sein würde.“

Als sich Nowitzkis Mitspieler Jason Terry vor der Saison 2010/2011 als Kampfansage den Meister-Pokal auf den rechten Bizeps tätowieren lässt, hält man ihn allgemein für übergeschnappt. Als Top-Favorit auf den Titel gelten die Miami Heat, wo sich mit LeBron James, Dwyane Wade und Chris Bosh gleich drei der größten Stars der Liga zusammengetan haben. Dahinter sehen die Buchmacher die legendären Los Angeles Lakers, den Meister der beiden Vorjahre. Danach kommt lange nichts.

Bildband: Dirk Nowitzki: "Vom Wunderkind zum Weltstar"
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Dirk Nowitzki - "Vom Wunderkind zum Weltstar"

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Dallas gilt als zweitklassig. Die zwölf besten Spieler der Mavericks kommen zusammen auf 362 Jahre, 109 Saisons – und null Titel. Sie galten als zu alt, zu langsam, zu verletzungsanfällig. Anstelle eines zweiten Superstars hat Nowitzki bloß Spieler an seiner Seite, die anderswo aussortiert worden waren. Jason Terry sagt man aus guten Gründen einen Mangel an sportlicher Konstanz bei übergroßem Ego nach. Der wuselige J.J. Barea wirkt mit seinen 1,78 Metern unter all den Zwei-Meter-Hünen auf dem Spielfeld wie ein Zwerg. Spielmacher Jason Kidd ist erfahren, aber auch 38 Jahre alt. Der Anker der Verteidigung, Tyson Chandler, ist ganz neu im Team. Nowitzkis Ersatzmann Brian Cardinal nennt man den „Hausmeister“, weil er unter all den Muskelmännern wie ein solcher wirkt. Und dann ist da noch Nowitzki selbst.

Der steht zwar mit 31 in der Blüte seiner Jahre, doch in den Vorjahren hatten gleich zwei Skandale sein Privatleben erschüttert: Kurz vor der geplanten Hochzeit war seine Verlobte als Heiratsschwindlerin enttarnt und verhaftet worden. Und sein Privattrainer, Mentor und Manager Holger Geschwindner wurde wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Zugleich steht Nowitzki sportlich immer mehr in der Kritik – trotz beeindruckend konstanter Hochleistungen, die sich auch in sehr guten individuellen Statistiken widerspiegeln.

Die Experten haben die Geduld verloren: Nowitzki hat Dallas nur ein einziges Mal in die Finalserie geführt – und dort 2006 gegen Miami den Kürzeren gezogen. 2:4 stand es am Ende nach Spielen. Dabei hatte Dallas schon mit 2:0 geführt; die Route für die Meisterparade war bereits in der Zeitung zu lesen. Dann implodierten Nowitzki und sein Team. Im Jahr darauf kommt es fast noch schlimmer: In der regulären Saison dominirt Dallas die gesamte NBA furios, nur um gleich in der ersten Playoff-Runde eine historische Klatsche zu kassieren. Als man Nowitzki am Ende jener Saison die Trophäe für den besten Spieler der Hauptrunde verleiht, ist seine Mannschaft längst ausgeschieden. Mal wieder.

NBA-Superstar Dirk Nowitzki in Leverkusen
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NBA-Superstar Dirk Nowitzki in Leverkusen

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Immer lauter wird deshalb in jenen Jahren die Charakterfrage nicht nur gestellt, sondern auch gleich beantwortet. Nowitzki sei zu nett, zu ruhig, zu weich. Hochsympathisch zwar, ein exzellenter Werfer und ein vorbildlicher Sportsmann, das schon. Einer, der jeden noch so mittelmäßigen Kader ins Viertel- oder auch Halbfinale der besten Liga der Welt schleppen kann – aber unter dem Strich eben doch: ein Verlierer. Eine Knieverletzung, die ihn neun Spiele kostete, kommt noch dazu.

Vor diesem Hintergrund entfaltet der folgende Triumphzug umso größere emotionale Wirkung: Nach einer zähen ersten Runde gegen Portland kommt das Viertelfinale gegen die L.A. Lakers, denen mancher schon den dritten Titel in Serie vorhergesagt hatte. In fulminanten 4:0 Spielen filetieren Nowitzki und Konsorten die satten Champions. Im Halbfinale wird das offensivstarke Oklahoma City mit 4:1 überrollt, erneut mit Basketball zum Niederknien.

Nowitzki feiert nicht. Das obligatorische Interview lässt er ausfallen und verschwindet in die Umkleidekabine. Die Trophäe für das beste Team der westlichen Hälfte der Liga wirft er in einen Wäschekorb. Im Finale kommt es zum Duell gegen den Ost-Champion Miami Heat. Die Gier auf Revanche für 2006 ist groß, die Sorge vor einem erneuten sportlichen Trauma beinahe noch größer. Auf dem Papier ist der Gegner klar überlegen. Miami hat drei Superstars und einen Haufen Wasserträger.

NBA: Die besten Scorer aller Zeiten - Nowitzki auf Rang sechs
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Die besten Scorer aller Zeiten

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Foto: AP/Ashley Landis

Dallas hat eine Mannschaft aus Spielern, die sich gegenseitig in Szene setzen und die ihre Schwächen als Mannschaft wettmachen.

Immer und immer wieder kämpfen sich die Mavericks nach Rückständen zurück, aber die erste und auch die dritte Partie gehen verloren. Doch die Mavericks geben nicht auf. Angeführt von einem völlig verausgabten und für seine Verhältnisse teils wenig treffsicheren Nowitzki. Der muss nach einem Sehnenriss eine ungewohnte Schiene am linken Mittelfinger tragen, zwischenzeitlich kommen auch noch 39 Grad Fieber und Schüttelfrost hinzu. Dass sich die gockeligen Stars der Gegner darüber lustig machen, bringt Nowitzki auch die Sympathien der letzten Unentschiedenen ein.

Als am 12. Juni 2011 die Schlusssirene ertönte und die Serie mit 4:2 Spielen gewonnen ist, jubelt man nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA und aller Welt mit Dirk Werner Nowitzki. Der ist von seinen Emotionen so überwältigt, dass er vom Spielfeld flieht und sich in der Umkleidekabine seinen Emotionen hingibt. Er weint Tränen der Freude, Erleichterung und Erlösung: Endlich hat er den Pott geholt, und zwar ohne sich zu verbiegen, seinen Spiel- oder Führungsstil zu ändern. Die Belohnung nach 41.362 erschöpfenden Spielminuten in der NBA, hunderttausenden Stunden Training, Abermillionen Würfen. Er habe einfach etwas Zeit für sich gebraucht, sagt Nowitzki typisch lakonisch dazu, und: „Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, zur besten Mannschaft der Welt zu gehören.“

Der Rest ist Jubel. Im Konfettiregen mit dem Meisterpokal und der Trophäe für den besten Spieler der Finalserie in den Armen, bei einer pompösen Parade in Dallas und später einer Freiluft-Party in Würzburg, mit Eintrag ins Goldene Buch der Stadt und dem schiefsten “We are the Champions”, das die Welt je gehört hat. Alle schwören einander, dass sie schon immer gewusst hatten, dass es so kommen würde. Und von einem Verlierer namens Dirk Nowitzki ist nie wieder die Rede.

2019 beendete Dirk Nowitzki nach 21 Saisons bei den Dallas Mavericks seine Karriere. Die Meisterschaft von 2011 blieb die einzige. Am Geld lag das nicht: Insgesamt ließ sich Nowitzki rund 194 Millionen Dollar (etwa 160 Millionen Euro) weniger auszahlen, als er hätte verdienen können; das Geld sollte für bessere Mitspieler ausgegeben werden.

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