Wilhelm Bungert wird 80 Der Mann, der Tennis zum Volkssport machte
Düsseldorf · Wilhelm Bungert hat mit seinen Erfolgen maßgeblich für den Boom der Sportart hierzulande gesorgt. Er war der erste Wimbledonfinalist aus Deutschland. Heute ist er 80 geworden.
Die Zeitung mit den großen Lettern verlieh ihm einst den wenig schmeichelhaften Beinamen „Grusel-Willi“. Den hatte er sich auch durchaus verdient. Bis Boris Becker 1985 auf der Bildfläche erschien, war Wilhelm Bungert, der heute sein 80. Lebensjahr vollendet, der beste, erfolgreichste und populärste Tennisspieler hierzulande. Aber Beständigkeit war nicht sein Ding. An einem Tag Weltklasse, am nächsten Tag Kreisklasse – so lästerten seine Kritiker. Für die eklatanten Formschwankungen, mit denen er sein Publikum stets über eine Achterbahn der Gefühle führte, gab es eine Erklärung. Bungert war ein reiner Instinktspieler, ein Künstler, der die unmöglichsten Schläge hervorzuzaubern vermochte, im nächsten Moment aber auch die einfachsten Fehler produzierte.
Er war ja außerdem kein Profi, er betrieb seinen Sport noch zu jener Zeit, als die Tenniswelt in Berufsspieler und lupenreine Amateure unterteilt war. Er war beruflich stark beansprucht und hatte sein Ingenieurstudium abgebrochen und in Hilden einen Sportartikel-Großhandel sowie ein Tennis-Zentrum gegründet. Das Training kam zu kurz. Selbst an Tagen, da er zum Davis-Cup-Einzel im Düsseldorfer Rochusclub antreten musste, packte er vormittags noch bis kurz vor seinem Einsatz Kisten für den Versand oder empfing Kunden zum Gespräch. Seine größten Momente als Sportler erlebte der gebürtige Mannheimer, Sohn eines Bauunternehmers, 1967 mit dem Erreichen des Endspiels in Wimbledon und 1970 als Spitzenspieler der deutschen Mannschaft in der damals noch üblichen Davis-Cup-Herausforderungsrunde gegen die USA in Cleveland, Ohio. Er blieb ein Unvollendeter, die Krönung blieb ihm in beiden Fällen versagt. In Wimbledon unterlag er dem Australier John Newcombe – nach drei kräftezehrenden Fünfsatz-Matches an den Tagen zuvor – mit 3:6, 1:6, 1:6 ebenso sang- und klanglos wie drei Jahre später das deutsche Team den vom legendären Arthur Ashe angeführten Amerikanern mit 0:5.
Aber Bungerts Husarenritt in Wimbledon war beileibe keine Eintagsfliege. Schon 1963 und 1964 hatte er im Halbfinale von Wimbledon gestanden, 1962 im Viertelfinale des Grand-Slam-Turniers in Australien, 1966 und 1967 in der vierten Runde bei den Turnieren in Forest Hills (USA) und Paris. Noch heute ist er mit 43 Einsätzen bei weitem der deutsche Rekordspieler im Davis-Cup. Nach seiner aktiven Laufbahn fungierte Bungert in den 1980er-Jahren als Kapitän der deutschen Davis-Cup-Mannschaft, bis er von Nikki Pilic auf dieser Position abgelöst wurde, weil die Chemie zwischen Bungert und Becker nicht stimmte.
Wilhelm Bungert war eindeutig der Kopf der damaligen Spieler-Generation. Dem viel bejubelten Tennisjahrgang 1939 gehörten neben ihm Dieter Ecklebe, Christian Kuhnke, der in knapp zwei Wochen ebenfalls 80 wird, und Wolfgang „Paule“ Stuck an. Zwei Jahre jünger als die vier Mitstreiter war der unvergessene Ingo Buding, der allzu früh schon vor vielen Jahren gestorben ist. Stets wurde Bungert nicht nur als genialer Tennisspieler, sondern insbesondere auch als kritischer Geist wahrgenommen. Diesen Status hat er sich bis heute bewahrt. Vehement geißelt er die jetzt üblichen, nach seiner Version unanständigen Preisgelder in diversen Sportarten, darunter auch im Tennis.
Der Lohn für seine Final-Teilnahme in Wimbledon 1967 war ein Gutschein über umgerechnet 300 D-Mark, einzulösen beim bekannten Sportgeschäft Lillywight am Picadilly Circus. Bungerts Husarenritt auf den berühmten Rasenplätzen im Londoner Südwesten zog seinerzeit einen ungeahnten Boom nach sich, der den Wandel des einstmals weißen Sports vom elitären Freizeitvertreib für Begüterte hin zum Volkssport für jedermann förderte. Jahrelang registrierte der Deutsche Tennis Bund zweistellige Mitglieder-Zuwachsraten. Überall im Land schossen neue Tennisanlagen und Hallen wie Pilze aus dem Boden. Ohne diese Entwicklung wäre die große Ära mit Steffi Graf, Becker und Michael Stich in den 80er- und 90er-Jahren nicht möglich gewesen.
Als er nach seinem Rücktritt 1972 einmal gefragt wurde, was sich für ihn fortan signifikant ändern werde, antwortete Bungert: „Dass ich nicht mehr die besten Plätze im Restaurant angeboten bekomme und die Gäste sich nicht mehr umdrehen und tuscheln, wenn ich das Lokal betrete.“ An diesen Zustand hat er sich aber schnell gewöhnt. Zum DTB, dessen Aushängeschild er jahrelang war, gibt es keinerlei Kontakt mehr. Süffisant argwöhnt der nun 80-Jährige: „Ich denke, dort weiß gar keiner mehr, dass es mich einmal gegeben hat.“