Debakel in erster Wimbledon-Runde Bundestrainerin Rittner fällt harsches Urteil über deutschen Tennis-Nachwuchs
London · In Wimbledon muss das deutsche Tennis in diesen Tagen mal wieder eine Reihe von Rückschlägen verkraften. Überraschend kommt das nicht. Bundestrainerin Barbara Rittner sagt: „Es geht vielen Talenten bei uns einfach zu gut.“
Es ist in diesen Tagen von Wimbledon mal wieder ein trostloses Bild. Bereits am ersten Tag des traditionsreichen Tennisturniers hat sich ein Gros der deutschen Teilnehmer aus dem Wettbewerb bereits wieder verabschiedet. Das ist nun keine ganz so spektakuläre Nachricht. Denn unter ein paar hoch talentierten Kräften, ist in der Breite vor allem Durchschnitt versammelt. Das Tennis hierzulande hat seine besten Tage schon etwas länger hinter sich. Das wurde in der jüngeren Vergangenheit immer ganz gut kaschiert durch zum Beispiel Angelique Kerber – bei den Damen immerhin Titelverteidigerin. Und dennoch ist unübersehbar, dass es dahinter immer dünner wird.
Barbara Rittner fällt ein harsches Urteil über den Tennis-Nachwuchs in Deutschland. „Einige haben einfach den Fokus auf den Sport verloren“, sagt die 46-Jährige. „Es geht unseren Talenten einfach zu gut. Unterm Strich ist es ein Spiegelbild der Gesellschaft. Niemand ist mehr bereit, wirklich Anstrengungen in Kauf zu nehmen und auch mal dauerhaft die eigene Komfortzone zu verlassen. Sobald der erste harte Widerstand kommt, nimmt man sich eben ein neues Projekt vor. Wenn du aber in die Weltspitze kommen willst, dann darfst du dich nicht überall von Mami und Papi kutschieren und „schützen” lassen, sondern musst auch mal selbst die Dinge in die Hand nehmen. Viele sind aber genau damit überfordert, weil sie immer alles abgenommen bekommen.“
Spielerinnen wie Angelique Kerber und Andrea Petkovic stünden im Spätherbst ihrer Karriere, dahinter würde indes lange nichts mehr kommen. „Uns ist da fast eine komplette Spielergeneration weggebrochen“, befindet die Bundestrainerin. „Carina Witthöft scheint nicht richtig zu wissen, was sie überhaupt will und kämpft um den Anschluss, kommt aber nicht aus ihrer Komfortzone heraus, Annika Beck hat ihre Karriere beendet und studiert nun Medizin, weil sie ein paar Rückschläge erlebte. Antonia Lottner schafft trotz großem Potenzial bisher nicht den Sprung in die Top 100. Ganz generell fehlt da einfach etwas, viele Spielerinnen sind nicht bereit, über einen gewissen Punkt zu gehen. Das hat die jetzige Generation größtenteils ausgezeichnet. Und sie sind dafür belohnt worden.”
Kerber schaffte zum Auftakt ein 6:4, 6:3 gegen Tatjana Maria. „Sich zu konzentrieren, war nicht so einfach. Aber ich habe es genossen. Es sind viele Emotionen zurückgekommen. Es ist großartig, zurück zu sein“, gab Kerber hernach zu Protokoll. Im Kampf um den Drittrunden-Einzug dürfte die Weltranglisten-95. Lauren Davis am Donnerstag eine machbare Aufgabe sein. „Sie ist klein, sie bewegt sich gut, sie holt viele Bälle“, berichtet Kerber über ihre Erfahrungen aus dem bisher einzigen siegreichen Vergleich mit der US-Amerikanerin. „Ich muss das Heft in die Hand nehmen.“
Laura Siegemund hat wie Kerber für ein deutsches Erfolgserlebnis in Wimbledon gesorgt. Die Metzingerin bezwang am Dienstag die Britin Katie Swan 6:2, 6:4. Die Nummer 82 der Tennis-Welt nimmt zum ersten Mal seit drei Jahren wieder an dem Grand-Slam-Turnier in London teil und spielt nun gegen die Tschechin Barbora Strycova um den Einzug in die dritte Runde. Zuvor waren von anfangs sieben deutschen Tennis-Damen Mona Barthel, Anna-Lena Friedsam und Petkovic in der ersten Runde des Rasenklassikers ausgeschieden.
Und dann ist da noch Alexander Zverev. Beim Deutschen Tennis-Bund (DTB) hält man ihn für ein Versprechen auf bessere Zeiten. Einer, der zumindest mal wieder an einem großen Titel schnuppern könnte. Doch einstweilen entwickelt er sich immer mehr zum Problembären – Alexander Zverev ist vor allem mit sich selbst beschäftigt. Wenigstens kurz will er weg, einmal komplett abtauchen. „Irgendwo, wo mich keiner finden kann“, sagt er. Neben seinem Erstrunden-Desaster in Wimbledon beschäftigen den 22-Jährigen Konflikte abseits des Sports.
Auch deswegen ist die Karriere des vielversprechendsten deutschen Tennisprofis seit Boris Becker und Michael Stich ins Stocken geraten. Der Rechtsstreit mit seinem Manager scheint ebenso ein Störfaktor zu sein wie womöglich das Hin und Her mit seinem Vater und Ivan Lendl auf dem Trainingsplatz. Dazu kommen gesundheitliche Sorgen um seinen Vater und ein gebrochenes Herz. Eben wegen dem strengen Familienoberhaupt, heißt es, habe sich der Filius von seiner Angebeteten getrennt. Alles etwas viel für einen jungen Mann, auf dessen Schultern große Erwartungen lasten.
Der Weltranglisten-Fünfte klingt ein wenig traurig und trotzig, wenn er über seinen Beruf spricht: „Es war kein einfaches halbes Jahr für mich. Ich werde versuchen, das zu ändern. Wenn man mit jedem großen Champion redet, werden sie auch alle solche Jahre mal haben. Es ist ein Prozess. Ich denke, dass ich da bald rauskomme.“ Nicht alle sind so optimistisch. Die zahlreichen frühen Niederlagen in dieser Saison, das Warten auf sein erstes Halbfinale auf Grand-Slam-Ebene, eine Saisonbilanz mit 25 Siegen und 13 Niederlagen passen nicht in eine Karriere, die von frühester Kindheit an auf die maximalen Ziele ausgerichtet ist. Zverev machte deutlich, dass sein Kopf derzeit nicht frei ist für Tennis.
Einen Verantwortlichen dafür nannte der Davis-Cup-Spieler zwar nicht. Doch die Vermutung liegt nah, dass sein Manager Patricio Apey gemeint war, von dem er sich trotz eines laufenden Vertrages getrennt hat. „Abartig“, nannte Zverev die Geschehnisse, ohne genauer darauf einzugehen. Offiziell dürfe er eigentlich gar nichts sagen. Die Rede ist davon, dass sein bisheriger Geschäftspartner bis zu zwölf Millionen Euro von ihm einfordern könne. (mit dpa)