Barbara Rittner über Angelique Kerber „Angie erfindet sich immer wieder neu“

London · Barbara Rittner hat Angelique Kerber seit ihrer Jugend als Tennis-Nationaltrainerin begleitet. In ihrem Gastbeitrag spricht sie über ihre Erfahrung mit der frischgebackenen Wimbledonsiegerin.

 Barbara Rittner bei Angelique Kerber (Archivbild).

Barbara Rittner bei Angelique Kerber (Archivbild).

Foto: picture alliance / Sebastian Gol/dpa, woi kno hak

Meine erste Begegnung mit Angelique begann mit einer Verspätung. Ich hatte 2004 nach den US Open meine Karriere beendet und wusste, dass ich im Jahr darauf als Kapitänin des Fed-Cup-Teams und als Bundestrainerin für den weiblichen Nachwuchs arbeiten würde. Also habe ich im November 2004 im DTB-Bundesstützpunkt in Hannover die talentiertesten Spielerinnen aus dem Jahrgang 1988 eingeladen. Von Angie war aber am ersten Tag noch nichts zu sehen – sie hatte ihr erstes Damen-Turnier auf der zweitklassigen ITF-Tour gewonnen. Ich habe mich dann mit ihr eine halbe Stunde auf den Platz gestellt und gespielt. Nach 20 Minuten hatte sie noch keinen einzigen Fehler gemacht. Sie hat mich angelächelt und gesagt: „So spiele ich immer.“ Ich habe später zu meinem Betreuerteam gesagt, dass sie etwas ganz Besonderes mitbringt.

Nun hat sie auch in Wimbledon triumphiert. Der absolute Wahnsinn. Und dann auch noch gegen Serena Williams. 6:3, 6:3 – das war mal eine echte Ansage. Kerber hat tolles Tennis gezeigt und eine der ganz Großen dieses Sports mit ihren eigenen Waffen bezwungen.

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Foto: AP/Tim Ireland

Vor ein paar Jahren haben wir im Fed Cup in Kroatien gespielt. Anna-Lena Grönefeld war als aufstrebende Spielerin bei mir gesetzt. Und ich hätte wirklich nicht im Traum daran gedacht, Angie schon ins kalte Wasser zu werfen. Sie war damals gerade einmal 17 Jahre alt. Es sollte für sie eine nette Erfahrung sein. Aber sie hat es total mitgenommen, nicht helfen zu dürfen. Sie war sauer, auch auf mich, und es hat ein längeres klärendes Gespräch gebraucht, um die Wogen wieder zu glätten. Auch das hat mir vor Augen geführt, was sie für eine besondere Persönlichkeit ist, was sie von anderen unterscheidet, für die es schon gereicht hätte, einfach das erste Mal bei der Nationalmannschaft dabei gewesen zu sein.

„Angelique hat schon 2005 klar ihre Ziele genannt“

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Wir haben uns in dieser Anfangszeit immer besser kennengelernt. 2005 waren wir zu einem DTB-Lehrgang bei Klaus Hofsäß in seinem Tenniscamp auf dem Hügel in Marbella. Neben Kerber waren Andrea Petkovic, Julia Görges, Tatjana Maria, damals hieß sie noch Malek, und Laura Siegemund dabei. Alle sind ihren Weg gegangen. Das macht mich natürlich auch ein wenig stolz, dass ich einen nicht ganz so schlechten Riecher gehabt habe. Angelique hat sich schon zu dieser Zeit in unseren internen Runden hingestellt und klar ihre Ziele formuliert: „Ich will die Nummer eins in der Welt werden und Grand-Slam-Turniere gewinnen.“

Wenn ich sie beobachtet habe, habe ich immer wieder mich in ihr wiederentdeckt. Es war manchmal so, als würde ich in den Spiegel blicken. In manchen Situationen ein absolutes Sturköpfchen, das sich nur wenig reinreden lässt, ein eher introvertierter Typ mit viel Zurückhaltung, dem die große Bühne nicht so liegt. Ein Kämpfer, der nichts geschenkt bekommt und sich jeden Tag aufs Neue beweisen muss.

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Foto: AFP/GLYN KIRK

Ich habe natürlich für diese Zeilen viel darüber nachgedacht, was den Menschen Kerber für mich so anders macht. Was erklären kann, warum sie nicht eine unter vielen ist, sondern dazu befähigt ist, nach den ganz großen Zielen zu greifen. Es ist für mich spannend zu beobachten, wie sich in den ganzen Jahren ihre Persönlichkeit verändert hat. Wie sehr sie Erfolge genießen kann. In den ersten Jahren war es ihr unangenehm, nach Siegen mit der Presse zu reden und im Mittelpunkt zu stehen. Sie empfand sich noch längst nicht angekommen. Heute wirkt sie wie befreit. Und da ist auch viel Wahrheit dran. Sie ist nun angekommen. Sie ist nun eine der ganz Großen in diesem Sport. Ein perfektes Vorbild für meine jungen Spielerinnen.

„Angie ist ein Gewohnheitstier“

Der Weg dahin war alles andere als ein Selbstläufer. Angie ist ein Gewohnheitstier, das nur ganz schwer aus seinem Trott kommt. Umso mehr muss man es ihr anrechnen, dass sie sich immer wieder neu justiert hat, um den nächsten Schritt zu gehen. Wir gehen schon seit ein paar Jahren rund um das Turnier oder während der Fed-Cup-Partien in Stuttgart in ein Restaurant mit einer sensationellen Karte. Sie bestellt jedes Mal das Gleiche: ein Schnitzel. Ich veräppele sie manchmal damit, warum sie sich die ganzen anderen tollen Kreationen entgehen lässt. Sie pocht aber auf ihr Schnitzel – weil sie dann weiß, was sie bekommt. Und ausgerechnet so ein Typ, der wenig wagt, erfindet sich immer wieder als Spielerin neu. Wechselt den Trainer, weil sie davon überzeugt ist, einen neuen Impuls zu benötigen. Benjamin Ebrahimzadeh, der sie 2013 bis 2015 coachte, sagte mir einmal: „Sie weiß gar nicht, wie gut sie ist.“ Ebrahimzadeh war für ihre Entwicklung sehr wichtig, er betreut heute Viktoria Azarenka. Angie ist ein Mensch, der viel Vertrauen braucht und sich nicht selbst nach vorne schiebt. Sie hat sich über Jahre ein enges Netzwerk gebaut und weiß mittlerweile genau, wer ihr wann gut tut. Mein langjähriger Freund und Berater Ulf Blecker, einer der besten Sportmediziner und jahrelanger Fed-Cup-Arzt, zählt dazu. Ulf ist wie ein väterlicher Freund für sie – und wenn immer es geht, schließt er seine Praxis in Düsseldorf ab und unterstützt sie wie auch schon in Wimbledon vor Ort. Es beruhigt sie, wenn solche Menschen in ihrer Nähe sind.

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Foto: REUTERS/ANDREW BOYERS

Sie hört immer gut zu, auch wenn sie nicht immer sofort reagiert. Sie hatte von Anfang an eine enge Beziehung zu Steffi Graf, mit der ich noch immer befreundet bin, und die, trotz großer Entfernung, nach wie vor sehr am deutschen Tennis interessiert ist. Der Austausch mit Steffi hat sie darin bestärkt, wirklich Großes schaffen zu können. Es geht nicht darum, irgendetwas zu wiederholen, sondern seine eigene Geschichte zu schreiben. Und Angie stellt noch immer diese Frage, die gute von sehr guten Spielern unterscheidet: Wie kann ich noch besser werden? Sie will nicht nur dabei sein, sie will gewinnen. Jedes Spiel. Und ich traue ihr durchaus noch zu, dass sie sich weitere Träume erfüllt. Warum sollte ihr nicht auch noch ein Triumph bei den French Open gelingen? Das alles wäre jetzt Bonus. Ich verneige mich vor einer tollen Spielerin und einem tollen Menschen.

Der Wimbledon-Siegerin!

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