Rücktritte im Leistungssport Warum Sportler ihre Karrieren immer früher beenden

Düsseldorf · Ashleigh Barty möchte ein Leben jenseits des Daseins als Tennis-Star leben und beendet mit 25 Jahren ihre Profi-Karriere. Das mag verwundern. Doch nicht selten hören Athletinnen und Athleten früh auf und schlagen einen neuen Weg ein.

Sportler, die ihre Karriere früh beendeten
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Sportler, die ihre Karriere früh beendeten

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Foto: AP/Andy Brownbill

Zlatan Ibrahimović gehört mit 40 Jahren immer noch zu den besten Profi-Fußballspielern, Ole Einar Björndalen gewann jenseits der 40-Jahre-Marke zahlreiche Medaillen, unter anderem zweimal Olympia-Gold, Claudia Pechstein rast auch mit 50 Jahren noch über das Eis, wenn auch nicht mehr so erfolgreich.

Längst sind Athletinnen und Athleten deutlich jenseits der 30 Jahre und auch die Ü40-Fraktion Normalität. In vielen Sportarten ist das schon ein gestandenes Alter – vor allem für Körper, die meist seit der frühen Kindheit geschunden werden mit hartem Training, Entbehrungen und Wettkämpfen. Hinzu kommen Leistungsdruck, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und psychischer Stress.

Das alles muss man wollen und lieben, um es über Jahrzehnte mit Freude zu betreiben. Man muss also auch im fortgeschrittenen Athletenalter körperlich und geistig fit sein, immer wieder die Motivation finden und sich in physische Topform bringen.

Will man das nicht, ist es nur die logische Konsequenz, die Karriere zu beenden. Egal ob man 42 Jahre alt ist, oder erst 25 oder gar jünger. Egal, ob man gerade mit großen Titeln und Erfolgen auf dem Höhepunkt seiner Karriere ist oder einfach nicht mehr um den Durchbruch kämpfen will.

Und so ist die Liste der Sportlerinnen und Sportler, die im noch recht jungen Alter ihre Karrieren beendet haben, lang. In Ashleigh Barty, aktuelle Nummer eins der Tenniswelt und Siegerin der Australian Open 2022, hat sich ein neuer Superstar dieser Liste hinzugefügt. Zwei Monate nach ihrem Triumph in der Heimat bei den Australian Open verkündete sie am Mittwoch ihren Rücktritt – mit 25 Jahren. „Es ist Zeit für mich, andere Träume zu verfolgen und die Schläger zur Seite zu legen“, sagte die Australierin: „Tennis wird immer ein enorm wichtiger Teil meines Lebens bleiben. Aber jetzt ist es wichtig, dass ich die nächste Phase als Mensch Ash Barty und nicht als Athletin Ash Barty genießen werde.“ Bei der Verkündung ihres Karriereendes ahnte sie schon, dass es Menschen geben werde, die das nicht verstehen. Denn diese Diskussion kommt fast reflexartig auf, wenn jemand aufhört, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere scheint, dem die Leute noch viele Erfolge zutrauen. Aber auch, wenn jemand aufhört, der den Sprung nach ganz oben nie geschafft hat, aber noch Jahre Zeit hätte dafür. „Es gibt keinen richtigen oder falschen Weg. Es ist einfach mein Weg“, sagte Barty.

Diesen Weg wählte 2012 auch Biathlon-Star Magdalena Neuner für sich. Die Bayerin war der Liebling der Fans. Ihre Auftritte und Siege wurden gefeiert. Der Rummel um die Deutsche war über Jahre groß. Überraschend trat die zweifache Olympiasiegerin und mehrfache Weltmeisterin damals aus dem Leistungssport zurück. Inzwischen hat sie drei Kinder und ist unter anderem TV-Expertin.

Neuners Nachfolgerin eiferte ihr nicht nur bei den Erfolgen nach, sondern verabschiedete sich ebenfalls früh aus dem Biathlon. Laura Dahlmeier dominierte über Jahre den Weltcup. Mit 25 Jahren hörte sie 2019 auf. Sie verspüre nicht mehr die hundertprozentige Leidenschaft, begründete sie ihre Entscheidung. Dahlmeier beginnt ein Studium, lebt ihre andere Leidenschaft, die fürs Bergsteigen, aus. Inzwischen ist auch sie TV-Expertin.

Rennfahrer Nico Rosberg wird 2016 Weltmeister in der Formel 1. Endlich, nach jahrelangem harten Kampf mit Teamkollege Lewis Hamilton. Fünf Tage nach dem Triumph tritt er zurück. Da ist er 31 Jahre alt, für einen Rennfahrer noch kein hohes Alter. „Seit 25 Jahren im Rennsport war es immer mein Traum, mein einziges, großes Ziel, Formel-1-Weltmeister zu werden", sagte Rosberg. „Ich musste viel dafür opfern, aber trotz all dieser harten Arbeit, dieser Schmerzen, und dem ganzen Verzicht war dies immer mein Ziel geblieben. Und jetzt ist es soweit, ich habe den Berg erklommen, ich bin an der Spitze angekommen und es fühlt sich richtig an“, ergänzte er. Rosberg wollte sich nach all den Jahren mit den vielen Reisen mehr um seine Familie kümmern.

Für große Diskussionen im Fußball sorgte Marcell Jansen. Als es beim Hamburger SV 2015 keinen neuen Vertrag für ihn gab, schlug er zahlreiche andere Angebote aus und beendete seine Profi-Karriere im Alter von 29 Jahren. „Ich kann nicht zwei, drei Jahre noch irgendwo spielen, wo ich nicht zu 100 Prozent dahinterstehe. Denn ich denke, dass ich mich nun in neuen, in anderen Aufgaben besser verwirklichen kann“, sagte er. Neben Respekt von Kollegen gab es auch viel Kritik. Jansen, heute Präsident des Hamburger SV, fehle der Biss, sich noch mal durchzusetzen. „Wer so was macht, hat den Fußball nie geliebt", sagte Rudi Völler damals im „ZDF-Sportstudio“ über Jansens Rücktritt. Ähnliche Stimmen wurden laut, als BVB-Spieler André Schürrle seine Karriere 2020 überraschend beendete.

Auch Schwimm-Legende Mark Spitz beendete seine Karriere mit erst 22 Jahren, Shane Gould schwamm mit 14 Jahren Weltrekord, als 15-Jährige gewann sie bei den Olympischen Spielen in München 1972 alles und tritt mit 16 Jahren zurück. Der öffentliche Druck sei zu groß gewesen, sagte die Australierin. Sie wollte ihre Jugend noch genießen. Björn Borg gewinnt im Tennis zwischen 1974 und 1981 sechsmal die French Open und fünfmal in Wimbledon. Mit 26 Jahren beendet er seine Laufbahn auf dem Tenniscourt. 

Es sind nur ein paar Beispiele von Rücktritten jüngerer Sportlerinnen und Sportler, doch sie alle haben gemein, dass der Sport nicht mehr der Hauptsinn ihres Lebens sein sollte. Die meisten von ihnen haben Erfolge gefeiert und diese auch genossen. Der Verzicht auf Zeit mit Freunden und Familie, auf andere Hobbys, Feiern oder einfach freie Zeit, hat sich im Moment des Erfolgs gelohnt. Aber für alle kam der Punkt, an dem sie nicht mehr bereit waren, ihr ganzes Leben dem Erfolg, Rampenlicht und Druck unterzuordnen.

Es mag undankbar oder unambitioniert wirken, mit Mitte 20 seinen Beruf Profisportler aufzugeben, obwohl man körperlich in der Lage wäre, weiterzumachen, während andere von Verletzungen, Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen zum frühen Ausstieg aus dem Leistungssport gezwungen wurden. Vergessen darf man aber nicht, dass die meisten Profis ihren Sport schon seit 20 Jahren ausüben, wenn sie Mitte/Ende 20 sind. Dass sie seit zehn oder mehr Jahren von Wettbewerb zu Wettbewerb reisen. Wer für sein späteres Leben studieren will, einen anderen beruflichen Werdegang als im Sport einschlagen möchte, ein anderes Umfeld kennenlernen will, der muss sich überlegen, ob er erst mit 40 Jahren in dieses Leben starten will und kann. Auch die Frage der Familienplanung ist nicht zu unterschätzen. Längst nicht in allen Sportarten kann man nach einer Schwangerschaft einfach wieder einsteigen und da weitermachen, wo man vorher aufgehört hat. Gerade im Tennis müssen sich die Mütter ihre Weltrangposition erst wieder erkämpfen. Und nur die Wettbewerbe zu machen, auf die man Lust hat, und sonst zu Hause bei der Familie zu sein, geht allein schon wegen des Konkurrenzkampfs um die Startplätze auch nur für die wenigsten Athletinnen und Athleten.

Gleichzeitig kann das Erreichen der eigenen Ziele immer zur Folge haben, dass sich jemand nicht für neue Ziele motivieren kann. Dann ist es besser, auf dem Höhepunkt aufzuhören, statt Jahre lang den alten Erfolgen hinterher zu jagen und sich zu quälen. Als Weltmeister oder Olympiasiegerin zu gehen, erscheint für viele da die bessere Lösung – auch wenn sie erst 25 Jahre alt sind.

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