Murray Nummer eins im Tennis Federer verneigt sich vor dem neuen König

Paris/Köln · Nach fast zwölf Jahren auf der ATP-Tour hat Andy Murray es an die Spitze der Weltrangliste geschafft. Die Nummer eins ist für den Schotten der Lohn für harte Arbeit, die er trotz vieler Rückschläge niemals aufgab.

 Weil sein Gegner zum Halbfinale nicht antreten konnte, spielte Murray für das Publikum zum Spaß mit ein paar Ballkindern.

Weil sein Gegner zum Halbfinale nicht antreten konnte, spielte Murray für das Publikum zum Spaß mit ein paar Ballkindern.

Foto: dpa, isl sam

Das Lob kam aus berufenem Munde. "Wir haben einen neuen König in der Stadt. Gratulation, Sir Andy Murray", twitterte Roger Federer. Der Schweizer war insgesamt 302 Wochen lang die Nummer eins der Weltrangliste, Andy Murray geht am Montag in seine erste Woche an der Spitze der Tenniswelt. Der Schotte gewann am Sonntag das Finale des ATP-Turniers in Paris gegen John Isner (USA) 6:3, 6:7 (4:7), 6:4, nachdem er schon durch den Einzug ins Endspiel als neue Nummer eins festgestanden hatte.

Auch Rafael Nadal gratulierte seinem Kumpel via Twitter. "Ich bin sehr, sehr stolz, unglaublich stolz", sagte der Schotte, der immerhin fast zwölf Profijahre auf dieses Ziel hingearbeitet hat: "Es ist etwas, wovon ich seit meiner Kindheit geträumt habe, und ich hätte nie gedacht, dass ich es wirklich mal schaffen könnte."

Nach dem vielleicht besten Jahr seiner Karriere wird der zweimalige Wimbledonsieger am Montag als 26. Nummer eins seit Gründung der Rangliste im August 1973 geführt. Murray war erstmals im August 2009 und seither insgesamt 76 Wochen lang die Nummer zwei, länger als er hat nie ein Spieler auf die Thronbesteigung warten müssen. Zudem ist er mit 29 Jahren und fünf Monaten der zweitälteste Profi an der Spitze des Rankings, nur der Australier John Newcombe war im Juni 1974 mit fast 31 Jahren älter. Allerdings könnte es ein kurzer Wachwechsel werden: Schon beim ATP-Finale in London (13. bis 20. November) kann der entthronte Novak Djokovic die Führung zurückerobern.

Im traditionsbeladenen britischen Tennis galt Andy Murray seit dem Beginn seiner Karriere im Frühjahr 2005 - damals war er gerade 18 Jahre alt - als Heilsbringer. Er war der Auserwählte, der dem Vereinigten Königreich den ersten großen Titel seit Fred Perrys Wimbledonsieg 1936 bescheren sollte. Und Murray lieferte, obwohl er ein paar Jahre Anlauf brauchte. 2012 gewann er das olympische Tennisturnier in London und die US Open, im Jahr darauf endlich auch Wimbledon. 2016 siegte er erneut im Allerheiligsten seines Sports, einen Monat später wurde er in Rio zum zweiten Mal Olympiasieger.

Und Murray scheute sich nicht, neue Wege zu gehen. 2014 trennte er sich völlig überraschend von seinem Erfolgstrainer Ivan Lendl und verpflichtete stattdessen die ehemalige französische Spitzenspielerin Amelie Mauresmo. Nach nur zwei Jahren war die Liaison am Ende. Murray sei eine "sehr komplexe Persönlichkeit", sagte Mauresmo damals, er benehme sich auf dem Platz oft ganz anders als im Training oder im Privatleben, was eine Zusammenarbeit mit ihm sehr erschwere. Nach Mauresmo kam Murrays Landsmann Jamie Delgado, er ist bis heute im Amt.

Vielleicht ist die von Mauresmo beschriebene komplexe Persönlichkeit von Andy Murray die Folge eines traumatischen Erlebnisses in der Kindheit. Gut 20 Jahre ist es her, dass ein bewaffneter Amokläufer in die Grundschule des schottischen 9000-Seelen-Orts Dunblane stürmte, 16 Kinder und eine Lehrerin erschoss und sich später selbst richtete. Andy und sein ein Jahr älterer Bruder Jamie konnten ins Büro des Schuldirektors flüchten und überstanden das Massaker unverletzt - zumindest körperlich.

Die seelischen Narben blieben. Jahrelang gab Andy Murray einen falschen Heimatort an, wenn er sich bei Turnieren einschrieb. Er wollte nicht ständig auf die Tragödie angesprochen werden, nicht immer wieder von den traumatischen Erlebnissen erzählen müssen. Später schrieb er sich das Trauma von der Seele. In seiner 2008 erschienenen Autobiografie ("Hitting back") berichtet er ausführlich über seinen ganz persönlichen Albtraum. Am bedrückendsten sei es gewesen, dass er den Täter kannte: "Er ist sogar mal mit meiner Mutter und mir im Auto mitgefahren." Mit 15 Jahren zog Andy Murray dann nach Barcelona, wo er sich auf seine Profi-Karriere vorbereitete. Weit weg von Dunblane.

(sid)
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