Favorit bei den French Open „Ungeheuer“ Alcaraz enteilt der Tennis-Konkurrenz um Zverev

Paris · Mit 19 Jahren gilt Carlos Alcaraz als die nächste große Nummer im Tennis. Für Alexander Zverev bedeutet das womöglich, künftig einen weiteren Ausnahmespieler vor sich zu haben. Ob ihm der Spanier bereits enteilt ist, dürften die French Open zeigen.

 Carlos Alcaraz beißt in die Trophäe für den Gewinn des Masters in Madrid.

Carlos Alcaraz beißt in die Trophäe für den Gewinn des Masters in Madrid.

Foto: AP/Paul White

Gerade einmal 62 Minuten dauerte ihr Aufeinandertreffen. Dann ballte sein Gegenüber bereits die Fäuste, während Alexander Zverev nach einem Doppelfehler zum Gratulieren über den roten Sand ans Netz schlich. Er tat es nicht im Groll. Sein Spiel war gewiss fehlerhaft gewesen, sein Gegner mit Kraft und Köpfchen an diesem Tag allerdings ein anderes Level. Zverev wusste das offenbar einzuordnen. Also sagte er beim Handshake nur anerkennend „gut gemacht“ zu Carlos Alcaraz. Mit 3:6 und 1:6 hatte Zverev das Finale des Masters in Madrid verloren.

Für Alcaraz war dieser Turniersieg vor zwei Wochen, bei dem er in den Runden zuvor ebenfalls die Branchenkönige Rafael Nadal und Novak Djokovic schlug, der vorläufige Höhepunkt einer herausragenden Saison. Zuletzt gewann er ebenfalls das Masters von Miami und das prestigeträchtige Sandplatzturnier in Barcelona, in der Weltrangliste schoss er auf Platz sechs nach vorne. Es gibt keinen Namen, über den in den vergangenen Wochen im Herren-Tennis mehr geschrieben und gesprochen wurde. Alcaraz, gerade 19 Jahre alt, mit jugendlichem Gesicht und muskelprotzendem Körper, ist die nächste große Nummer im Tennis, da sind sich derzeit alle einig. Für die anstehenden French Open ist er einer der Favoriten – Zverev, im Vorjahr noch im Halbfinale von Paris, läuft beim Veranstalter dieses Mal unter „Best of the rest.“

Das, was da aktuell auf den jungen Spanier einwirkt, dürfte Zverev indes gut nachvollziehen können. Er war 2017 nur ein Jahr älter als Alcaraz heute, als er ebenfalls vor den French Open seine ersten großen Turniere gewann. Auch ihn trug man damals auf Schultern durch die Tennis-Welt, versicherte ihm, er werde die Nummer eins und haufenweise Grand-Slam-Titel holen. Inzwischen ist Zverev mit 25 Jahren ein mittelalter Hase und hat gewiss große Siege errungen – nur eben nicht bei den Grand Slams, der Maßstab im Tennis für die ganz großen Karrieren. Zum einen, da dem gebürtigen Hamburger oft die nötige Konstanz abhandenkommt, zum anderen, da an Nadal, bald 36 Jahre, und Djokovic, 34, trotz ihres hohen Tennisalters weiterhin kein Vorbeikommen ist.

Die Wachablösung der sogenannten „Big Three“ ist für die Generation um Zverev, oft als „NextGen“ vermarktet, zum Geduldsspiel geworden – auch wenn aus dem Trio sportlich nur Nadal und Djokovic geblieben sind. Bei Roger Federer geht es nach langer Verletzungspause lediglich noch um ein letztes Goodbye auf der Tour, seine Erfolgsgeschichte dürfte mit nun 40 Jahren auserzählt sein. Bei den French Open ist er nicht dabei. Nadal und Djokovic dominieren hingegen weiter, zusammen gewannen sie 13 der vergangenen 15 Grand-Slam-Turniere. Nur Dominic Thiem und Daniil Medwedew quetschten sich bei den US Open 2020 und 2021 in diese Siegerreihe.

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Nun taucht mit Alcaraz offenbar ein weiterer Ausnahmespieler auf, hinter dem sich Zverev anstellen muss – und der anders als Nadal und Djokovic die Zeit auf seiner Seite hat. „Dieser Centre Court hat 15 Jahre lang Nadal gehört, die nächsten 15 Jahre wird er wahrscheinlich Alcaraz gehören“, sagte Zverev noch auf dem Platz nach seiner Niederlage in Madrid. Das ist natürlich sehr weit ins Morgen gedacht – zumal Alcaraz bislang nur die Hochphasen eines Sportlerlebens kennt.

Für sein Alter ist er dennoch bemerkenswert weit, weiter auch als Zverev damals: Nerven zeigt er selten, auf dem Court wirkt er zudem wie ein disziplinierter, höflicher Klavierschüler. Zerhackte Schläger oder hitzige Diskussionen mit Schiedsrichtern sind bei ihm kaum vorstellbar – Kategorien, in denen Zverev seit Jahren herausragt, nur das ihn das weder sportlich noch in seinem Ansehen nach vorne bringt. Und dann hämmert Alcaraz die Filzkugel zudem fast fehlerlos mit 120 Kilometern pro Stunde übers Feld, egal ob Vor- oder Rückhand, streut aber auch perfekte Stoppbälle ein.

„Er ist kein Kind, er ist ein Ungeheuer“, titelte zuletzt die katalanische Zeitung „La Vanguardia“ über Alcaraz. Nicht unbedingt die schmeichelhafteste Beschreibung. Für seine Gegenspieler dürfte es sich bisweilen aber tatsächlich so anfühlen.

Bei den French Open ist Alcaraz nun in einer neuen Rolle: Er reist nicht mehr als Underdog zum Turnier, er muss Erwartungen erfüllen – auf ganz großer Bühne. Djokovic nannte Alcaraz zuletzt gar „den derzeit besten Spieler der Welt“, was Zverev indes auch tat. Mehr Aufmerksamkeit geht kaum. Auch damit muss ein angehender Spitzenspieler umgehen können. Das musste auch Zverev lernen. Titelverteidiger Djokovic ist derweil nach seinem Masters-Sieg vergangene Woche in Rom einmal mehr der Topfavorit bei den French Open. Was für Zverev möglich ist, zeigt sich womöglich ab dem Viertelfinale: Da könnte es zum erneuten Aufeinandertreffen mit Alcaraz kommen.

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