Angelique Kerber Im Tennis-Himmel

Melbourne/Düsseldorf · Der Tennis-Himmel ist natürlich blau. So blau wie der Belag auf dem Center Court im Stadion von Melbourne. Ein bisschen weiß ist er auch - an den Linien. Auf der Grundlinie liegt Angelique Kerber auf dem Rücken.

Angelique Kerber feiert ihren Sensationssieg gegen Serena Williams
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Kerbers Reaktion nach dem Sieg

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Foto: afp, rab

Den Schläger hat sie weggeworfen. Sie braucht ihn heute nicht mehr. Die Augen hat sie geschlossen, sie genießt ein paar Sekunden Paradies ohne Worte, ohne Bilder, ganz in sich versunken. Die Arme sind ausgebreitet. Und auf dem Gesicht liegt der Glanz des Glücks.

Für Angelique Kerber erfüllt sich gerade ein Lebenstraum. Im Finale der Australian Open hat sie die Weltranglisten-Erste Serena Williams bezwungen (6:4, 3:6, 6:4). Es ist ein Erfolg für die Geschichtsbücher. Zum ersten Mal seit 1999 gewinnt eine deutsche Tennisspielerin ein Grand-Slam-Turnier. Damals waren es die French Open in Paris. Es ist eine Ewigkeit her.

Angelique Kerber am frühen Morgen in Frankfurt gelandet
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Kerber wird am Frankfurter Flughafen empfangen

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Foto: dpa, fve kno

Seither sind ganze Generationen von Spielerinnen im übergroßen Schatten von Steffi Graf geradezu zerbröselt. Die Jahrhundertspielerin aus Brühl konnte niemand erreichen, am wenigsten die, denen es immer mal wieder vorhergesagt wurde. Kerber ist zumindest großes Talent bescheinigt worden. Aber auch sie brauchte fast ein ganzes Tennis-Leben bis zum großen Triumph, zum ganz großen Durchbruch. 28 Jahre ist sie alt. Und sie sagt: "Jetzt bin ich reif, das zu genießen. Ich muss nun niemandem mehr etwas beweisen."

Diese Einstellung hat ihr die notwendige Lockerheit verschafft, ihr Talent voll zu entfalten. Dabei musste sie schon das Leben vor dem Grand-Slam von Melbourne nicht ausdrücklich bedauern. Sie stand beharrlich unter den ersten zehn oder zwanzig Spielerinnen in der Weltrangliste. Sie ist die klare Nummer eins in Deutschland, auch wenn ihre Kolleginnen Andrea Petkovic und Sabine Lisicki die auffälligeren Typen sind und die Schlagzeilen beherrschen.

Kerber ist nicht das bunte Wesen für die bunten Magazine. Vielleicht hat sie auch schon mal bedauert, dass sie "nur" als Sportlerin so eindrucksvoll ist. Spätestens seit dem Matchball von Melbourne dürfte ihr das herzlich gleichgültig sein. Sie genießt nicht nur den Triumph nach drei hochspannenden Sätzen. Sie darf sich auch über die Achtung der Gegnerin freuen. "Es gibt wenige Spielerinnen, die auf dem Court so gut unterwegs sind wie Angie", erklärt Serena Williams. Neben der läuferischen Stärke bietet die Deutsche im Endspiel Serien starker Grundlinien-Schläge und ein paar Passierbälle, die sogar Williams vor unlösbare Rätsel stellen.

Die US-Amerikanerin, eine Branchenführerin wie vor Ewigkeiten Steffi Graf, ist die erste Gratulantin. Sie bleibt nicht auf ihrer Seite des Netzes stehen, sie kommt in die Hälfte von Angelique Kerber. Sie fallen sich in die Arme, und Kerber sagt später: "Gratuliere, Serena, für all das, was du für den Tennissport getan hast, wie du Millionen für den Sport begeistert hast." Auch die Minuten nach dem Match prägt gegenseitiger Respekt diese Begegnung.

Bis die Feierlichkeiten auf der anderen Seite der Welt endgültig abgewickelt sind, vergeht fast ein Tag. Bis in die Nacht ist Kerber im Stadion. Sie lässt die Dopingprobe über sich ergehen, eine schier unendliche Schar von Gratulanten zieht vorbei, einer noch unübersehbareren Menge von Medienmenschen muss sie den Erfolg wieder und wieder erzählen. Als es noch in eine Disco geht, tanzt nur noch Trainer Torben Beltz. Sein Schützling vergisst unterdessen sogar das Essen. Bis zum Frühstück habe sie lediglich eine Banane gegessen, sagt sie am Morgen.

Da wartet noch eine besondere Herausforderung. Mit dem Trainerteam hat Kerber gewettet, in den Fluss Yarra zu springen, wenn sie im Finale gewinnt. Jim Courier hat das einst vorgemacht. 1992 segelte er in das nicht unbedingt zum Baden empfohlene Gewässer in der Nähe des Tennisstadions, nachdem er Stefan Edberg im Finale bezwungen hatte. Der Fluss eignet sich also zur Legendenbildung.

Eine Legende ist Kerber noch nicht. Aber sie hat sich ein Datum in der deutschen Tennis-Geschichte gesichert. Seit ihrem Erfolg von Melbourne gibt es nicht mehr nur die Zeitrechnung nach Graf, sondern nun auch die nach Kerbers erstem Grand-Slam-Sieg. "Ich bin jetzt ein Teil der Historie", stellt sie in der Nacht fest.

Viel Zeit, das auszukosten, bleibt ihr nicht. Heute macht sie Station in ihrer Wahlheimat Polen, wo sie in Puszczykowo in der Nähe ihrer Großeltern lebt. Schon morgen fährt sie zum Fed-Cup-Team nach Leipzig. Dort wird am Wochenende das erste Weltgruppenspiel gegen die Schweiz ausgetragen. Kerber ist dann wieder eine Spielerin in der Mannschaft. Zum ersten Mal aber tritt sie als Nummer zwei der Weltrangliste an. Eine ganz neue Situation. Angst macht sie ihr nicht. Es sieht jedenfalls nicht so aus.

(pet)
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