Kolumne Gegenpressing Stars erweitern den Horizont

Idole geben durch ihre Erfolge den Blick auf das Mögliche frei. Das ist ein schöner Aspekt des Sports. Schade, wenn es zu wenige Idole gibt.

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Foto: dpa, TW JJ wie

Dorieus von Rhodos war ein großer Star der Antike. Ungefähr so groß wie Floyd Mayweather heutzutage. Dreimal wurde Dorieus Olympiasieger im Pankration, dem Allkampf, einer reichlich brutalen Sportart. Deutlich brutaler als das Boxen, das Mayweather berühmt und sehr reich gemacht hat. Dorieus wurde nicht nur reich, weil sich der Olympiasieg bereits 424 vor Christus ordentlich auszahlte, er wurde auch sehr einflussreich — als Politiker auf seiner Insel im Mittelmeer. Floyd Mayweather stellen wir uns als Politiker lieber nicht vor.

Heute wie damals aber erfüllen die Herren Mayweather und Dorieus offenbar ein tiefes Bedürfnis der Menschheit. Sie sucht nach Idolen, die der Sport so zuverlässig liefert, weil er sich aus dem Leben der Normalen heraushebt. Er findet in Arenen statt, in Hallen, auf Bühnen, die Welt hält kurz an, der Betrachter (heute Fan) verabschiedet sich aus seiner Wirklichkeit in eine, die das Idol gestaltet — am besten siegreich. Denn Siege, Erfolge, Bestleistungen geben den Blick frei aufs Mögliche. Die Mannheimer Wirtschaftsprofessorin Alexandra Niessen-Ruenzi hat das mal sehr schön erklärt. "Wir brauchen Stars", hat sie gesagt, "weil sie Horizonte für uns öffnen." Das ist der erfreuliche Teil der Botschaft.

Der weniger erfreuliche: Nicht immer erfüllt sich die Hoffnung, dass Stars für uns Horizonte eröffnen, indem sie — nur beispielsweise — die US Open im Tennis für uns gewinnen. Angelique Kerber ist das im vergangenen Jahr gelungen. In diesem Jahr hat sie sich in der ersten Runde verabschiedet. Kaum besser erging es dem nächsten designierten Stern am Tennishimmel, Sascha Zverev. Er flog in New York eher tief - und in der zweiten Runde raus.

Damit ist er immer noch nicht so tief gefallen wie das einstige Idol Boris Becker, das es weder zum Politiker noch zum dauerhaft reichen Mann gebracht hat. Becker muss das schwer erträgliche Mitleid der Boulevardpresse nebst allerlei unerquicklicher Enthüllungen und Pseudo-Enthüllungen ertragen. Dafür tut der Deutsche Tennis Bund so, als sei Becker immer noch ein Idol. Er soll irgendetwas an entscheidender Stelle fürs deutsche Tennis tun. Was das sein wird, weiß noch niemand so genau. Und zumindest sehr kurzfristig hat er natürlich nichts bewirkt (siehe Zverev, Kerber, US Open).

Immerhin darf er sich damit trösten, dass er für eine Rückkehr in den Rang des Idols nicht direkt Leib und Leben einsetzen muss wie das antike Vorbild Dorieus. In dessen Sportart kehrte so mancher Athlet schwer versehrt aus dem Ring zurück ins Leben - wenn er überhaupt ins Leben zurückkehrte. In dieser Hinsicht haben es die Stars heute leichter. Außerdem betreten sie die Arena in vollständig bekleidetem Zustand. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(pet)
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