Michael Ilgner "So kommt der Sport nicht durch den Tüv"

Frankfurt/Main · Der Sporthilfe-Chef Michael Ilgner spricht im Interview über die Probleme angemessener Förderung im Leistungssport und Athleten als Idealisten.

 Michael Ilgner mit Franziska van Almsick beim Ball des Sports.

Michael Ilgner mit Franziska van Almsick beim Ball des Sports.

Foto: Imago

Am Freitag feiert die Deutsche Sporthilfe ihren 50. Geburtstag. Doch bei allem Feiern im Jubiläumsjahr birgt 2017 in Form der Leistungssportreform auch eine große Herausforderung für die Stiftung, die jährlich mehr als zehn Millionen Euro Fördergelder an Athleten ausschüttet. Seit Jahresbeginn diskutiert der Sport vor allem über die künftige Verteilung von Geld im Kampf um künftige Medaillen. Mittendrin: die Sporthilfe und Vorstandsvorsitzender Michael Ilgner. Ein Gespräch in seinem Frankfurter Büro.

Mischen im deutschen Sport zu viele Beteiligte mit, um ihn noch erfolgreicher machen zu können?

Ilgner Dass Föderalismus und zentrale Leistungssportführung auch Konfliktpotenzial mit sich bringen können, ist ein bekannter Zustand.

Konflikt scheint eh der aktuelle Zustand im deutschen Sport zu sein.

Ilgner Wenn sie mit "dem deutschen Sport" die Sportpolitik und das olympische Umfeld im Blick haben, dann glaube ich schon, dass die Krise, die internationale Sportorganisationen wie Fifa oder IOC haben, auch hierzulande dazu geführt hat, dass man nicht einfach "weiter so!" sagen kann.

Womit wir bei der Leistungssportreform wären.

Ilgner Ein wichtiges Thema.

Im Rheinland sagt man: Wer die Musik bestellt, bestimmt, was sie spielt. Hat die Sporthilfe gemessen an ihrer Bedeutung genügend Mitspracherecht bei der Reform?

Ilgner Wir sind ja zunächst einmal eine unabhängige, private Stiftung, die mit Geldern, die sie aus der Wirtschaft einholt, dem Sport dienen soll. Wir haben uns in den vergangenen Jahren gut entwickelt, aber noch immer nicht die finanziellen Möglichkeiten, die wir brauchen, um unsere Sportler langfristig international wettbewerbsfähig aufzustellen. Die Sporthilfe reklamiert nicht per se für sich eine Stimme innerhalb des Sports. Aber immer dann, wenn es um die Förderung der Sportler geht. Dann verschaffen wir uns Gehör - und werden mit klaren Worten auch gehört.

Klare Worte wie auch im Text des seit Jahresbeginn greifenden Förderkonzepts. In dem heißt es: Um zu finanzieren, was angestrebt ist, bedürfe es einer "deutlichen Mittelerhöhung". Können Sie das konkretisieren?

Ilgner Wir haben für die Athleten im Top-Team das Ziel, 600 Euro Grundförderung im Monat zu zahlen. Wir sind mit 300 Euro gestartet, werden aber mit Hilfe der Sportlotterie zumindest einige Zeit lang in diesem Jahr wohl schon auf 600 Euro kommen. Weil aber viele unserer geförderten Sportler Studenten sind, profitieren diese zudem schon vom Deutsche-Bank-Sportstipendium in Höhe von 400 Euro monatlich. Unabhängig davon gilt aber: Wir brauchen für die Top-Athleten eine finanzielle Basis, auf der man sie auch fordern kann. Da sind wir auf einem guten Weg, aber noch nicht da, wo wir hinwollen, nämlich bei einem größeren Kreis von Athleten mit 800 bis 1000 Euro im Monat.

Das größte Pfund eines Athleten bleibt somit sein Idealismus.

Ilgner Ganz bestimmt. Ich kenne das noch aus meiner aktiven Zeit als Wasserballer, und ich glaube, dass auch heute 95 Prozent der Athleten vor allem von der Leidenschaft für ihren Sport angetrieben werden. Vom Willen, zu den weltweit 20, 30 Besten in ihrer Sportart gehören zu wollen. Und nicht von einer materialistischen Erwartungshaltung.

Aber dann könnte man doch provokant sagen: Wenn Sportlern am Ende Idealismus reicht, wozu diese ganze Diskussion um Förderung?

Ilgner Im Gegenteil. Die idealistische Einstellung macht einen Sportler noch förderungswürdiger. Und wir verlieren viele solche Sportler, wenn wir sie auf Dauer nicht stärker finanziell fördern. Denn dann wenden sich auch die talentiertesten 16- und 17-Jährigen statt dem Leistungssport lieber früh einem aussichtsreichen Beruf zu. Schließlich überlegt doch jeder junge Mensch: Wovon will und kann ich mein ganzes Leben lang leben? Also müssen wir versuchen, Athleten mit finanzieller Förderung und Hilfestellung bei einer dualen Karriere den Leistungssport zu ermöglichen, ohne dass sie gravierende Nachteile für das Berufsleben nach der sportlichen Laufbahn hinnehmen müssen.

Braucht es parallel dazu eine Sportförderung für Trainer?

Ilgner Ja. Die braucht es. Wir registrieren immer wieder einen Aderlass an guten Trainern ins Ausland. Das bedeutet zwar einerseits, dass wir in dem Bereich Weltspitze sind. Aber wir müssen natürlich dafür sorgen, dass wir auch Weltspitze bleiben, gute Trainer ausbilden und sie im Land halten. Das Trainer-Thema ist ein Feld, bei dem es in einigen Bereichen bedenkliche Zustände gibt.

Vor allem bei der Bezahlung. Die muss Trainer in vielen Fällen abschrecken.

Ilgner Es geht um Bezahlung und Anerkennung und um die Verbindung von beiden. Nicht nur im Leistungssport. Gerade im Jugend- und Breitensportbereich kann man den Trainern gar nicht genug danken, weil ich es für alles andere als selbstverständlich erachte, dass sich jemand in seiner Freizeit ehrenamtlich oder für einen marginalen Stundensatz intensiv und versiert mit unseren Kindern beschäftigt.

In Deutschland gilt seit jeher die Praxis, über alle Sportarten hinweg Athleten fördern zu wollen. Widerspricht das nicht dem Leistungsprinzip?

Ilgner Selbstverständlich muss man sich innerhalb der Sportförderung immer wieder fragen: Werden die vorhandenen Mittel effizient genug genutzt? Es kann nicht richtig sein, aus einem Solidaritätsgedanken heraus allen Sportarten das Gleiche zu geben - egal, ob ein Verband nun immer wieder aufs Neue mit innovativen Konzepten den Kontakt zur Weltspitze hält oder ob ein anderer Verband keinen Fortschritts- und Unternehmergeist zeigt. Das entspricht in der Tat nicht dem Wesen des Leistungssports, immer zu den Besten zählen zu wollen.

Eine solche Feststellung nimmt die Spitzenverbände aber unweigerlich in die Pflicht.

Ilgner Natürlich ist ein Verband, der nachweislich in den vergangenen Jahren nicht in der Weltspitze war, gefordert, sich zu fragen: Was mache ich denn künftig anders? Was lerne ich von der Weltspitze? Allein: Der Ruf nach mehr Geld reicht in der Regel nicht. Meistens hat es auch etwas mit Strukturen und Förderkonzepten zu tun. Genauso gilt aber auch: Kein Verband wird dadurch besser, dass man ihm mehr abverlangt, ohne ihm auch Veränderungen oder mehr Möglichkeiten einzuräumen. Wie soll denn ein Verband trotz eines klugen Konzepts Weltspitze sein, wenn er nicht einmal eine Handvoll hauptamtlicher Mitarbeiter finanzieren kann, sich aber im internationalen Wettbewerb ganz anderen Strukturen gegenübersieht?

Also müsste die Sportförderung differenzieren. Aber Differenzierung birgt Konfliktpotenzial.

Ilgner Natürlich. Differenzierung erfordert eine Bereitschaft zum Diskurs. Das ist nicht immer leicht. Dabei kann man Fehler machen, dadurch kann man auch in Konflikte geraten. Aber der deutsche Sport ist in einer Situation, in der er so durch die nächsten Tüv-Prüfungen nicht mehr ohne Weiteres gekommen wäre. Deswegen muss er sich jetzt diesen Diskussionen stellen.

Den Start der Leistungssportreform Anfang 2019 wird Michael Vesper nicht mehr verantworten. Er hört bekanntermaßen Ende des Jahres als Vorstandsvorsitzender des DOSB aus. Sie gelten als Kandidat auf seine Nachfolge.

Ilgner Es ehrt mich, wenn für so ein herausforderndes Amt über meine Person spekuliert wird. Es kommt aber nicht in Frage, da ich gerade erst im Vorjahr vom Aufsichtsrat mein Mandat bis 2021 verlängert bekommen habe und mit der Sporthilfe noch viel vorhabe. Ich bin zuversichtlich, dass der DOSB eine gute Nachfolgeregelung für Michael Vesper findet, obwohl seine Fußstapfen nicht so leicht auszufüllen sind.

STEFAN KLÜTTERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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