Sportinterne Revolution? Das Jahr, in dem die Sportler aufbegehren

Düsseldorf · Führende Athletenvertreter skizzieren eine Zukunft des Sports nach dem Willen der Sportler. 2018 will man mit den Sponsoren den Druck auf die internationalen Verbände erhöhen - und auch Alternativen zu Olympia diskutieren.

Silke Kassner: Müssen über Alternativen zu Olympia nachdenken
Foto: Ferl

Beckie Scott (43) macht sich Sorgen um den Sport. Das ist ihr Job, schließlich engagiert sich die frühere kanadische Skilangläuferin seit 2005 als Athletensprecherin der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada). Doch Anfang 2018 ist etwas neu: Inzwischen macht sich Beckie Scott Sorgen um den Sport an sich. "Der Sport bewegt sich immer mehr in eine Richtung, aus der es in meinen Augen keinen Weg zurück gibt", sagt die Olympiasiegerin von 2002 unserer Redaktion. "Wenn es im Sport nur noch um Unterhaltung, Geld und Drama geht, dann geht etwas wirklich Wichtiges verloren." Dass es nicht so weit kommt, das ist Scotts Anliegen. Und das von anderen Athletenvertretern überall auf der Welt.

So auch das von Silke Kassner. Die Kanutin ist Athletensprecherin im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). "Als Athleten in Deutschland haben wir eine ähnliche Perspektive wie Beckie Scott. Als Athletenvertreter - gerade in der westlichen Welt - müssen wir das Herz in die Hand nehmen und überlegen, wie wir uns die Zukunft des Sportes vorstellen. Hier geht es um eine wichtige, zukunftsweisende Entwicklung für eines der größten Kulturgüter", sagt die 41-Jährige. Und so arbeiten Menschen wie Scott und Kassner daran, dass 2018 das Jahr wird, in dem die Athleten aufbegehren. Aufbegehren wollen, zumindest.

Denn zunächst geht es darum, den Spitzensportlern bewusst zu machen, über welche Macht sie verfügen. Über die Macht, dass eben kein Top-Event stattfindet, wenn sie nicht antreten. Dieses Bewusstsein gelte es zu wecken, sagt Scott. "Wenn wir Sportler begreifen würden, wie weitgehend wir den Sport verändern können, wäre der Sport schon heute ein anderer." Aber der Sport ist so, wie er ist. Er wird auf internationaler Ebene von Schlagzeilen über Doping, Korruption und Amtsmissbrauch dominiert. Und, so sagt Kassner, eben von der Feststellung, dass die Sportler noch immer viel zu wenig mitentscheiden können. "Es ist nicht mehr zeitgemäß, dass der Sport heute überwiegend von ehrenamtlichen Vertretern gesteuert wird und die Protagonisten im Sport durch eine Minderheit vertreten werden. Die Hauptantriebsfeder des Sportes sind die Athleten und dahinter ihre Trainer. Beide müssen in die Lage versetzt werden, im Sport strukturelle, strategische und finanzielle Entscheidungen mit einer demokratischen Mehrheit mit zu treffen."

Das Ganze klingt nach einer sportinternen Revolution, und nicht weniger wäre es auch, wenn die Athleten tatsächlich in Gänze ihre Stimme erheben würden. "Die zentralen Fragen der Zukunft sind: Welches Gewicht haben wir als Athleten, und wie setzen wir es als länderübergreifendes Netzwerk um?", sagt Kassner, die mit dem Dormagener Säbelfechter Max Hartung auch die Mitte Oktober in Köln gegründete, unabhängige Interessenvertretung für Athleten vorantreibt.

Scott sagt, es werde viel darüber geredet, wie wichtig Athletenvertretungen seien, aber in der Realität werde ihnen dann doch wenig Entscheidungskraft zugestanden. Die Kanadierin hat drei Schlüsselfiguren ausgemacht, die den Wandel vorantreiben sollen: Neben den Athleten seien dies die Öffentlichkeit, die über Ticketkauf und Einschaltquote ihre Meinung kundtun könne, und die Sponsoren.

Sponsoren? "Ja", sagt Silke Kassner. "Sponsoren müssen sich heute viel konkreter überlegen, warum sie sich eigentlich immer noch mit Milliarden im Sport engagieren, obwohl der, wie wir glauben, seine Glaubwürdigkeit vor allem international verloren hat. Warum gibt es seitens der Sponsoren bis heute keinen prozentualen Anteil für den internationalen Anti-Doping-Kampf, damit das Anti-Doping-Management unabhängig und frei von Interessenkonflikten realisiert werden kann?"

Deswegen plädiert sie dafür, sich als Athleten zusammen mit den Geldgebern Gedanken zu machen - umwälzende Ideen inklusive. "Wir müssen mit den Hauptgeldgebern sprechen und überlegen, wie der Sport der Zukunft aussehen soll. Gibt es vielleicht auch andere Veranstaltungen als die Olympischen Spiele?" Dass das Veranstaltungsmonopol der internationalen Sportverbände wackelt, legt nicht zuletzt die Entscheidung der EU-Wettbewerbshüter von Anfang Dezember nahe, die der Internationalen Eislaufunion (ISU) untersagten, Sportler für die Teilnahme an Nicht-ISU-Veranstaltungen zu sanktionieren. Vorangegangen war eine Klage von zwei niederländischen Athleten.

"Für den Athleten gibt es in der monopolistischen Welt der Sportverbände bisher nur zwei Optionen: Entweder er betreibt den Sport so wie vorgegeben, oder er lässt es. Bedingt durch ihren kulturellen Rahmen fügen sich die meisten Athleten, weil die innere Motivation und das Ziel, am größten sportlichen Wettkampf teilzunehmen, alles überdeckt. Gerade in Deutschland entscheiden sich immer mehr für einen Beruf und gegen den unterfinanzierten Leistungssport", sagt Kassner. Das soll sich ändern, wie sich so vieles ändern soll. 2018.

(klü)
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