Forscher zieht Vergleich zur Kirche Studie spricht von 200.000 Fällen sexuellen Missbrauchs im Sport

Düsseldorf · In einer Studie der Uniklinik Ulm haben Forscher die Dimension des Problems von sexuellem Missbrauch im Sport dargelegt. Die Forscher beziffern die Zahl der Betroffenen auf hochgerechnet 200.000.

 Menschen hinter einer Glaswand (Symbolfoto).

Menschen hinter einer Glaswand (Symbolfoto).

Foto: Shutterstock/carlos castilla

Sexueller Missbrauch im Sport ist einer Studie zufolge ein weitgehend verdrängtes Problem großen Ausmaßes. Auf hochgerechnet rund 200.000 Betroffene bezifferte die ARD-„Sportschau“ unter Berufung auf eine noch unveröffentlichte Studie die Zahl der Opfer in Deutschland. Sie zitierte in dem am Samstag ausgestrahlten 45-minütigen Beitrag „Das große Tabu“ ein Papier der Uniklinik Ulm, über das die Tageszeitung „Die Welt“ zuerst berichtet hatte. „Wir haben eine Bewusstseinsentwicklung nötig in diesem Bereich“, sagte der Ulmer Kinder- und Jugendpsychiater Jörg Fegert: „Wir haben in Deutschland im Sport ungefähr doppelt so viele Fälle wie in der katholischen Kirche.“

Für die Studie waren rund 2500 Menschen zu ihren Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch in Kindheit und Jugend befragt worden. Bereits vor drei Jahren hatte die Uniklinik 1800 Leistungssportler befragt. Mehr als ein Drittel berichtete, „sexuell übergriffige Dinge“ erlebt zu haben. Fegert sagte: „Da waren wir schon entsetzt. Wenn man es sehr eng nimmt, haben drei Prozent sexuelle Übergriffe mit Penetration erlebt, schwerste Taten. Aber es kommt natürlich ein großes Feld von ungewollten Berührungen dazu.“

Eine Untersuchungskommission der Bundesregierung hatte im Mai auf die Problematik im Sport aufmerksam gemacht. Die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen kritisierte, dass Anhörungen sowie Berichte von Betroffenen und in Medien darauf hinwiesen, „dass es hier einer unabhängigen Aufarbeitung bedarf, die in den Strukturen des Freizeit- und Leistungssports bisher noch nicht ausreichend vorgesehen ist“.

Der Deutsche Olympische Sportbund versicherte, dass „die Weiterentwicklung der Prävention von sexualisierter Gewalt im Kinder- und Jugendsport bei uns einen hohen Stellenwert hat“. Alfons Hölzl, der Präsident des Deutschen Turner-Bundes, wies in einem Beitrag für das „Turn-Magazin“ darauf hin, dass das Bundesinnenministerium Präventionskonzepte und Eigenerklärungen als Fördervoraussetzungen von allen Sportverbänden verlange.

In der ARD-Sendung wurden unter anderem Fälle aus einem Turnverein in Weimar und aus dem Reitsport genannt. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) wehrte sich gegen den Vorwurf, einen Fall sexuellen Missbrauchs nicht konsequent aufgearbeitet zu haben. Die „Sportschau“ zitierte anonym den Vater eines Opfers mit der Aussage, dass die FN nicht auf seine Familie zugekommen sei: „Ich habe mich sofort gefragt, auf welcher Seite der Verband steht. Auf der Seite des Opfers oder auf der Seite des Täters?“

In einer Pressemitteilung schrieb die FN dazu: „Wir bedauern es, dass mehrere Kontaktaufnahmen von Seiten der FN und des zuständigen Landesverbandes mit der Opferfamilie im Januar 2013 sowie im August 2014 als nicht ausreichend wahrgenommen wurden.“ Der TV-Beitrag kritisiert zudem, dass der beschuldigte Reiter wieder für Deutschland antreten durfte. „Heute würden wir mit einem wie im Beitrag geschilderten Fall anders umgehen“, teilte die FN mit.

International wurde das Problem durch Fälle aus den USA deutlich. Der ehemalige Turn-Verbandsarzt Larry Nassar war seit Sommer 2017 in drei Urteilen für den Missbrauch teils minderjähriger Opfer zu bis zu 175 Jahren Haft verurteilt worden. Im US-Leistungssport sind einer Aufstellung der Trainer-Webseite greatcoach.com zufolge inzwischen fast 1000 Coaches aus olympischen Sportarten wegen Vorwürfen sexueller Übergriffe, Dopingvergehen oder anderer Straftaten verbannt worden.

(eh/dpa)
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