Analyse zu RB Leipzig Woanders ist auch böse

Düsseldorf · Leipzig bietet den Bayern Paroli. Aber anders als jedem Münchner Konkurrenten zuvor fliegen den Sachsen deswegen keine Sympathien zu. Der Brauseklub ist eben bei vielen per se unten durch. Weniger Schwarz-Weiß-Denken wäre dabei durchaus hilfreich.

FC Bayern München: So nah waren die Verfolger an den Bayern dran
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So nah waren die Verfolger an den Bayern dran

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Fußball-Deutschland ist verwirrt. Und zwar nachhaltig. Schuld daran ist RB Leipzig. Natürlich. Weil RB Leipzig immer Schuld ist. Denn RB Leipzig ist böse. Eine reine Werbemaschinerie für einen österreichischen Brausehersteller, der den Traditionsvereinen der Bundesliga mit unlauteren Mitteln das Leben schwer macht und die Seele des Fußballs zerstört, so wie wir ihn alle kennen und lieben. Das ist, kurz zusammengefasst, was viele über die Sachsen denken.

Diese Sachsen sind nach zehn Spieltagen Tabellenzweiter. Punktgleich mit Bayern München. Und an dieser Stelle wird es konkret mit dem Verwirrt-sein in Deutschland. Denn der Fußball, so wie wir ihn alle kennen und lieben, hat uns über Jahrzehnte gelehrt, den Verein, der sich anschickt, den übermächtigen Bayern Paroli zu bieten, zumindest ein bisschen in unser Herz zu schließen. Weil die Münchner doch immer das Böse waren. Kauften immer allen anderen Vereinen die besten Spieler weg. Setzten immer ihren Willen durch. Waren immer ein bisschen überheblich.

Wenn nun aber ein böses Leipzig bösen Bayern auf den Fersen ist, zu wem soll der Rest von Fußball-Deutschland dann bitteschön halten? Gibt es mehr und weniger böse? Und ist das weniger Böse das kleinere Übel? Ist nicht der Feind meines Feindes mein Freund? Und deswegen eigentlich gut? Zumindest ein bisschen? Zumindest so, dass man ein bisschen für ihn sein kann? Und wer ist dann am Ende Freund, wer Feind? Bayern? Leipzig? Beide? Keiner von beiden? An all diesen Fragen knabbern Fußballfans hierzulande derzeit kräftig herum.

Als Borussia Dortmund sich in den vergangenen Jahren mit den Münchnern um diverse Titel kebbelte, schien es für die Nicht-Bayern-Fans und die Nicht-Dortmund-Fans (außer für die Schalker) einfach: Man konnte sich ohne größere moralische Selbstverrenkungen auf die Seite der Dortmunder schlagen. Die befeuerten die Mär vom Kampf des schwarz-gelben Außenseiters gegen den bajuwarischen Favoriten auch nach Kräften - insbesondere vor dem Champions-League-Finale der beiden Klubs 2013 in London. Es war wie David gegen Goliath. Robin Hood gegen Prinz John. Oder wie bei Star Wars. Wobei Bayern-Trainer Jupp Heynckes nicht wirklich zum gruseligen Darth Vader taugte.

Leipzig ist auch ein Außenseiter. Streng genommen. Denn RB ist ja Aufsteiger. Und mit Aufsteigern meint es Fußball-Deutschland in der Regel gut. Für die Kleinen hat es halt ein Herz. Aber RB ist kein Kleiner. Und auch kein Aufsteiger im eigentlichen Sinne. Über die Brause fließt hier mehr Kohle als bei vielen Arrivierten. Sportlicher Erfolg wird hier als Marketinginstrument erkauft - so der Vorwurf. RB sei ein platziertes Kunstprodukt. Ohne Identität. Ohne Seele. Ohne Tradition. Ein Unternehmen auf Stollenschuhen. Diejenigen, die sagen, RB stecke die Millionen zumindest in Talente und Jugendarbeit und spiele doch einen tollen Fußball, sind noch eine kleine Minderheit.

Der Philosoph Wolfram Eilenberger stellte in seiner Kolumne für "Die Zeit" jüngst eine These auf. Eine, mit der er viele Fans von Traditionsvereinen gegen sich aufbrachte. Sie lautete: "Der von Traditionsfans sorgsam kultivierte Hass auf Rasenballsport Leipzig könnte in Wahrheit nichts anders als umgelenkter Selbsthass sein." Also Selbsthass auf den eigenen Verein, der sich zwar keinem Energydrink verschrieben hat, aber ohne moralische Bedenken Sponsoren-Millionen von russischen Energiekonzernen (Schalke), von durch Tierschützer kritisierten Geflügelproduzenten (Bremen), manipulierenden Autofirmen (Wolfsburg) oder globalen Chemiekonzernen (Leverkusen) nimmt. Sind diese Vereine in punkto moralischer Integrität genauso böse wie Leipzig? Oder nur ein bisschen böse? Oder gar nicht böse? Wiegen zehn Steigerlieder am Ende ein Gazprom-Engagement auf?

2016 wird Schwarz-Weiß-Denken in der Bundesliga immer mehr zur Kunstturn-Kür. Sich einzugestehen, dass auch der eigene Verein keinen Heiligenschein im Wappen trägt, wäre ein Anfang. Mit welchen Schattierungen von gut und schlecht man dann die Vereine überzieht, ist Geschmackssache. Dieser Text ist auch kein Plädoyer für RB Leipzig. Nur für eine sachliche Auseinandersetzung. Sie ist das beste Mittel gegen Verwirrung.

(klü)
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