Ärger über Sturz von Tscharnke "Wir wurden schon für harmlosere Aktionen disqualifiziert"

Sotschi · Tim Tscharnke lag wie gelähmt im Schnee und sah mit Entsetzen in den Augen Gold entschwinden. Mit einem Sturz 300 Meter vor dem Ziel gab der Pechvogel den möglichen Olympiasieg und die sichere Medaille im Teamsprint der Langläufer aus der Hand.

Sturz vor dem Ziel kostet Tscharnke/Dotzler Medaille
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"Das ist einfach scheiße. Wir hätten es so verdient gehabt, so ein Mist", fluchte Tscharnke, der bis dahin mit Hannes Dotzler ein großes Rennen gezeigt hatte und beim Sieg der Finnen vor Russland und Schweden wie ein Häufchen Elend als Siebter ins Ziel schlich.

Tscharnke war mit dem Finnen Sami Jauhojaervi und dem Russen Nikita Krijukow in die vorletzte Kurve eingebogen, alle anderen Konkurrenten hatten den Anschluss verloren. Doch dann das Unfassbare: Der vor ihm liegende Finne fuhr Tscharnke vor die Füße, es kam zum Sturz. Der Deutsche blieb endlose Sekunden völlig apathisch liegen und trauerte im Nachhinein zumindest Bronze hinterher: "Hätte ich gewusst, dass wir so viel Vorsprung haben, hätte ich mir beim Aufstehen mehr Mühe gegeben", sagte der 24-Jährige, "aber ich hatte mich verhakt und war total blau."

"Er hat meine Spur gekreuzt"

Olympia 2014: Alle Goldmedaillen-Gewinner von Sotschi
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Foto: afp, mlm/rc

Tscharnke war sichtlich verärgert: "Er hat meine Spur gekreuzt, ich konnte nicht mehr ausweichen", sagte Tscharnke, der dabei vom Finnen auch noch eine Fleischwunde an der Wade verpasst bekam: "Wir Deutsche wurden schon für Aktionen disqualifiziert, die weit harmloser waren."

Ein unmittelbar danach eingereichter Protest der deutschen Teamleitung wurde nach kurzer Beratung abgelehnt, auf einen Einspruch verzichtete der Deutsche Skiverband (DSV) mangels Erfolgsaussichten. Selbst eine Disqualifikation der Finnen hätte dem deutschen Duo keine Medaille eingebracht, es wäre lediglich auf Platz sechs vorgerückt. "Das war eine unfaire Entscheidung. Im letzten Jahr gab es hier in einer fast gleichen Situation eine Disqualifikation, und jetzt wird lax drüber gegangen. Ich bin verärgert und vergnatzt", sagte Bundestrainer Frank Ullrich.

Die Finnen, deren Jubel im Ziel grenzenlos war, waren sich keiner Schuld bewusst. "Das ist schade für ihn. Aber er hat die Außenkurve genommen, ich war innen. Das passiert", sagte Jauhojaervi. Tscharnke verpasste damit einen erneuten Medaillen-Coup, 2010 hatte er in Vancouver mit Axel Teichmann Silber im Teamsprint gewonnen hatte. Für Dotzler wäre es das erste olympische Edelmetall gewesen.

"Wir wussten, dass wir gut sind"

Dabei sah zunächst alles nach einem Happy End aus. Schon im Halbfinale ließ das Duo die Konkurrenz förmlich stehen, die deutschen Techniker hatten beim Griff in die Wachskiste goldrichtig gelegen. "Wir wussten, dass wir gut sind, wenn das Material gut ist. Und heute war das Material top", sagte Klassik-Spezialist Tscharnke.

Dass es doch nicht der Tag der Deutschen werden würde, hatte sich kurz zuvor schon mit dem vierten Platz der Frauen angekündigt. Steffi Böhler hatte Denise Herrmann auf Rang drei in die letzte Runde geschickt, die Führende des Sprintweltcups hielt die Medaille bis zur Zielgeraden in der Hand - doch dann ließ die Schwedin Stina Nilsson ihre deutsche Rivalin stehen und holte Bronze.

Neben Tscharnke ist Herrmann damit die zweite tragische Gestalt der deutschen Skilangläufer. Die 25-Jährige scheiterte in Sotschi schon zum dritten Mal im Zielsprint. Im Einzel-Halbfinale war sie auf Platz vier abgerutscht und ausgeschieden, in der drittplatzierten Staffel verpasste sie als Schlussläuferin Gold und Silber. "Das ist hart für sie, aber total menschlich. Wir müssen sie jetzt aufbauen", sagte die erneut ganz starke Böhler.

Während den Deutschen der Sprint in die olympischen Geschichtsbücher verwehrt blieb, schrieb Norwegens Langlauf-Königin Marit Björgen mit dem Sieg an der Seite von Ingvild Östberg vor Finnland an ihrer sagenhaften Erfolgsstory weiter. Fünf Goldmedaillen hat das Kraftpaket aus Trondheim nun auf dem Konto, im abschließenden "Marathon" am Samstag kann sie zur erfolgreichsten Sportlerin der Winterspiel-Historie werden.

(sid)
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