Olympisches Dorf in Pyeongchang Athleten-Unterkünfte können die Versprechen nicht halten

Die Athletendörfer in Pyeongchang gehören laut Thomas Bach zu den "besten der Geschichte". In der Realität können die Unterkünfte mit dem Lob des IOC-Präsidenten nicht mithalten. Den Athleten ist's egal.

Pyeongchang 2018: So leben die Athleten im Olympischen Dorf
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So leben die Athleten im Olympischen Dorf

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Foto: dpa, nic

Tina Hermann hockt entspannt auf einem Sitzsack vor der kargen Sperrholzwand und blickt in ihre "Werkstatt", die eigentlich die Küche ist. Von zwei Postern lächeln die Backstreet Boys auf sie herab. "Die haben Natalie und Dajana aufgehängt", sagt die Skeleton-Pilotin und lacht ein wenig über ihre Mitbewohnerinnen: "Mein Fall ist das ja nicht so."

Hermann teilt sich das spartanische Apartment im Wohnturm Nummer 104 im Olympischen Dorf von Pyeongchang mit ihrer Skeleton-Kollegin Anna Fernstädt, den Bobfahrerinnen Stephanie Schneider und Annika Drazek sowie mit den Rodlerinnen Natalie Geisenberger und Dajana Eitberger. Beschweren möchte sich keine der Athletinnen über die schlichte Unterkunft, die den Charme einer halb fertigen Bretterbude ausstrahlt.

Die Vorfreude macht die kargen Unterkunft erträglich

Von "einem der besten Olympiadörfer überhaupt, wenn nicht dem besten" sprach IOC-Präsident Thomas Bach beim medienwirksam inszenierten Einzug in sein Vorzeigezimmer, in dem er "die ein oder andere Nacht" verbringen will. Wohnturm 104 erweckt einen anderen Eindruck. Aber die olympische Vorfreude macht alles erträglich.

"Das passt schon so. Wir sind froh, dass wir dabei sind", sagt Hermann, die Ordnungsfanatikerin der Sechser-WG: "Die Mädels räumen bis jetzt immer alles schön weg, ich musste noch nicht meckern." Sie schwärmt vom guten Essen im Dorf, von der tollen Atmosphäre, obwohl noch längst nicht alle Sportler da sind. Die Finnen, die mit Team Deutschland in 104 wohnen, seien auch sehr nett. Ein paar Schritte entfernt ist das Chill-Zelt, wo sich Sportler aus aller Welt an Billard- und Kicker-Tischen treffen oder in Massagesesseln entspannen.

Im Kufen-Apartment im siebten Stock von 104 steht neben Hermann Skeleton-Kollegin Jacqueline Lölling, die eigentlich eine Etage höher wohnt. Sie blickt lächelnd auf die kleine Küchenzeile, die komplett mit Schutzfolie abgeklebt ist, wie in allen Athleten-Wohnungen. Die Nutzung ist den knapp 2500 Helden und Hoffnungsträgern aus 92 Nationen, die in den beiden Dörfern in Pyeongchang und an der Küste in Gangneung wohnen, strengstens verboten.

Die Wohnungen sollen nach den Spielen den Käufern in Topzustand übergeben werden. Leisten, Türrahmen, Ecken und Kanten in den Apartments sind ebenfalls geschützt. Alles ist ein einziges Provisorium. Die berühmten Erst-Bewohner, ohne die es keine Olympischen Spiele und keine Athletendörfer geben würde - sie wirken in ihren Schutzfolien-Bleiben wie eine Horde ungebetener Gäste.

Die Küche wird zur Werkstatt umfunktioniert

Lölling ist das egal. Gemeinsam mit Hermann erzählt sie dem halben Dutzend Journalisten, die drei Tage vor der Eröffnungsfeier ausnahmsweise das Athletendorf im "Mountain Cluster" besuchen dürfen, dass sie die Küche ohnehin schon zu "unserer Werkstatt" umfunktioniert hätten. Auf einer Anrichte, immerhin von einer Art Decke geschützt, schleifen die Rennschlittenpilotinnen die Kufen. Vor Trainingsfahrten etwa eine Stunde lang, vor Wettkämpfen gerne mal vier Stunden - und am 15. Februar, dem Tag vor den ersten olympischen Läufen ihrer Karrieren, werden sie das feinkörnige Schleifpapier sicherlich noch länger schwingen.

Löllings Augen leuchten, wenn sie an den Start denkt. "Olympia ist der Wettkampf schlechthin, der Höhepunkt überhaupt", sagt sie. Ihren 23. Geburtstag und die Tiramisu-Torte, die sie am Morgen von Bob- und Rodel-Chef Thomas Schwab überreicht bekam, hat sie schon fast wieder vergessen. Eine Medaille ist das, woran sie denkt.

Die Winterbergerin, die den bislang einzigen Weltcup auf der Olympiabahn gewonnen hat, geht als eine der Favoritinnen in die Rennen um Gold. Auch Hermann ist chancenreich, Sotschi-Olympiasiegerin Geisenberger sowieso. Eine karge Küchenwerkstatt im siebten Stock von 104 könnte zu einer deutschen Goldschmiede von Pyeongchang werden.

(sid)
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