Olympische Eröffnungsfeier ohne deutsche Politiker Das verdruckste Verhältnis zu China

Analyse | Peking · Deutschlands Wirtschaft ist existenziell vom Reich der Mitte abhängig. Das weiß die Bundesregierung und findet ausgerechnet zu den Olympischen Winterspielen keine klare Haltung zum bald mächtigsten Land der Welt.

Die Olympischen Ringen in Zhangjiakou.

Die Olympischen Ringen in Zhangjiakou.

Foto: dpa/Alessandra Tarantino

Am Freitag beginnen sie also, die Olympischen Winterspiele in Peking. Wenn bei der Eröffnungsfeier die Athletinnen und Athleten aus 91 Nationen winkend und freudestrahlend hinter den Fahnen ihrer Länder ins Olympiastadion einlaufen, werden die Bilder um die Welt gehen und ein buntes Bild der Fröhlichkeit senden. Doch hinter der funkelnden Fassade werden die kritischen Geister unter den Aktiven genau wissen, dass sie in diesem Moment als eine Art Geiseln des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und der Kommunistischen Partei der Volksrepublik China pralle Propaganda für einen Staat betreiben, der Uiguren in Lagern foltert, die Opposition in Hongkong und anderswo unterdrückt sowie Menschenrechte mit Füßen tritt.

Die Athletinnen und Athleten können einem fast leidtun. Die Diskussionen um Kritik am Ausrichterland und den Umgang damit wird seit Wochen auf ihrem Rücken ausgetragen. Auch Forderungen nach einem Boykott der Spiele gab es, was die Aktiven in ein Dilemma stürzt. „Dass man das grundsätzlich nicht richtig findet, dass das dort so nicht geht, ist nicht die Frage. Aber Sportler sind nicht dafür da, irgendwelche Boykotts zu machen und Dinge in der politischen Richtung auszutragen. Sie sind dazu da, um ein Fest des Sports zu erleben“, sagte Biathlon-Bundestrainer Mark Kirchner.

Schlussendlich gehen in den kommenden zwei Wochen 149 Deutsche in den 15 Disziplinen der Winterspiele auf Medaillenjagd. Für viele ist es der Höhepunkt der Karriere, für den sie so lange trainiert haben, für den sie Geld und Freizeit geopfert haben. Schon allein deshalb sollte ihrer Meinung nach der Fokus nun verstärkt auf die sportlichen Leistungen gelenkt werden – die Kritik an Menschenrechtsverletzungen, Einschränkung der Pressefreiheit und anderen Dingen aber nicht versiegen. Das ist eine verständliche Haltung.

Diverse Politikerinnen und Politiker haben indes einen diplomatischen Boykott angekündigt. Die USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Dänemark werden dem Veranstalter keinerlei Reverenz erweisen und den Spielen fernbleiben. Soweit geht die deutsche Politik nicht. Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die auch für den Sport zuständig ist, und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) fliegen offiziell aus persönlichen Gründen nicht ins Reich der Mitte. Den meisten von ihnen wird es egal sein, wenngleich Eishockey-Nationalspieler Moritz Müller von den Kölner Haien markige Worte findet. „Ich habe gelesen, dass Annalena Baerbock nicht hinreisen wird. Da frage ich mich: Reist sie nur jetzt nicht hin oder reist sie nie nach China?“, bemerkt der 35-Jährige und gibt selbst die Antwort: „Das ist doch wieder nur Show.“

Die Haltung der deutschen Spitzenpolitiker ist wahrlich höchst widersprüchlich. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellte nur lapidar fest, dass er „keine Reisepläne für Peking“ habe. Das Kalkül der Bundesregierung: So stößt man Peking nicht offiziell vor den Kopf und besänftigt Chinas Kritiker im eigenen Land. Vor allem bei Wählern der Grünen und der FDP sind die zahlreich vertreten, die Sozialdemokraten hatten schon von je her ein eher pragmatisches Verhältnis zum wichtigsten deutschen Außenhandelspartner.

Man könnte auch sagen, die deutsche Politik macht es sich denkbar einfach. Denn die neue Ampelkoalition weiß genauso gut wie ihre Vorgängerregierung, dass China für die deutsche Wirtschaft von existenzieller Bedeutung ist. Aus keinem Land der Erde bezieht die Bundesrepublik so viele Güter wie aus China. 117 Milliarden Euro betrug deren Wert im ersten Pandemie-Jahr 2020. Eine Zahl, die 2021 noch deutlich übertroffen wurde. Schon bis November hat Deutschland chinesische Waren im Wert von 127 Milliarden Euro bezogen, das sind rund zehn Prozent aller Importe. Das Handelsvolumen (Exporte und Importe) betrug im gleichen Zeitraum 222 Milliarden Euro. Damit ist China vor den USA und den Niederlanden die Nummer eins in den auswärtigen Wirtschaftsbeziehungen. Allein der Wolfsburger VW-Konzern verkauft fast die Hälfte seiner gefertigten Fahrzeuge ins Reich der Mitte. Wehe, wenn da die Produktion durch politische Störfeuer ins Wanken gerät. Dann versinkt Deutschland in der Rezession.

Klar ist, dass Kanzler, Außenministerin oder der Chef des Wirtschaftsressorts darauf Rücksicht nehmen müssen. Denn deutsche Konzerne haben knapp 90 Milliarden Euro in China investiert. Dazu kommen die Folgen für Jobs, Wirtschaftswachstum und auch die notwendige Kooperation in der Klimapolitik, falls Deutschland China die kalte Schulter zeigt. Es führt kein Weg daran vorbei: Deutschland ist zur Zusammenarbeit mit dem Reich der Mitte verdammt.

Ein verschämter diplomatischer Boykott wirkt da unehrlich und sendet die falschen Signale aus. Denn die chinesischen Partner wissen nur zu gut, dass sie von solchen Politikern nichts zu befürchten haben. Würden Scholz, Baerbock und Co. dagegen Peking besuchen, wäre das nur eine Anerkennung dieser Realität. Es scheint, dass sich China von einem autoritären Staat hin zu einer fast totalitären Gesellschaft entwickelt. Deshalb müssen deutsche Politiker die Menschenrechtsverletzungen bei ihren Besuchen offen ansprechen. Das ist für Pekings Führung im Zweifel unangenehmer als eine verdruckste Absage für die Eröffnungsfeier. Die Bundesregierung könnte durchaus Selbstbewusstsein zeigen. Denn auch die Volksrepublik hat ein Interesse an guten Wirtschaftsbeziehungen.

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