Walijewa und die Weißen Elefanten Die Olympia-Brandherde von Peking

Peking · So unpolitisch und konfliktfrei, wie es das Internationale Olympische Komitee gerne gehabt hätte, waren die Winterspiele von Peking nie. Sechs Brandherde, die auf und unter der glänzenden Oberfläche der perfekten Inszenierung schwelten.

 Kamil Walijewa.

Kamil Walijewa.

Foto: dpa/Peter Kneffel

Der Fall Kamila Walijewa

Es war die größte und hässlichste Affäre dieser Winterspiele, ein Stück irgendwo zwischen Krimi, Tragödie und Schmierentheater: Einen Tag nach dem Sieg des russischen Eiskunstlauf-Teams wurde bekannt, dass die erst 15-jährige Kamila Walijewa positiv auf ein verbotenes Herzmittel getestet worden war. Die Probe war bereits am 25. Dezember genommen, allerdings erst mit großer Verspätung ausgewertet worden. Walijewa, die den Befund damit erklärte, dass sie in Kontakt mit einem Medikament ihres Großvaters gekommen war, wurde zum Spielball: Russlands Anti-Doping-Agentur hob die Suspendierung auf, das IOC, die Welt-Anti-Doping-Agentur und der Eiskunstlaufverband ISU gingen dagegen vor, letztlich erteilte der Internationale Sportgerichtshof CAS Walijewa die Freigabe für den Einzelwettkampf. Walijewa hielt dem Druck in der Kür nicht stand, produzierte Fehler, wurde Vierte - und von ihrer Trainerin angeherrscht anstatt getröstet.

Menschenrechte

Es begann mit der Uigurin Dinigeer Yilamujiang, die als symbolträchtige letzte Fackelträgerin bei der frostigen Hochglanz-Eröffnungsfeier alle Vorwürfe der Repressalien gegen die muslimische Minderheit abschmettern sollte. Staatspräsident Xi Jinping zeige der Welt den "ausgestreckten Mittelfinger", meinte Menschenrechtler Hanno Schedler. Es endete mit unverhohlener Propaganda der Organisationskomitees. Die Berichte über "Konzentrationslager" und "Zwangsarbeit" in Xinjiang seien "Lüge", sagte BOCOG-Sprecherin Yan Jiarong. Das "unpolitische" IOC reagierte nicht, als die Gastgeber - auch in der Taiwan-Frage - politisch wurden. Das Thema Menschenrechte wurden sie in den 16 Tagen aber nicht los. Das ernüchternde Fazit von Human Rights Watch: "Die Olympischen Winterspiele 2022 haben dazu beigetragen, die Menschenrechtsverletzungen zu zementieren."

Redefreiheit

Sie war offiziell angeblich gegeben, ausgenutzt wurde diese zweifelhafte Möglichkeit aber kaum. Die zwischen den Zeilen zu lesende Drohung der Chinesen, sich bei unliebsamen Äußerungen entsprechende Maßnahmen vorzubehalten, und eine Haltung des IOC, die in solchen Fällen nicht unbedingt vorbehaltlosen Rückhalt für Sportler und Sportlerinnen erwarten ließ, führten dazu, dass sich kaum jemand zu den Problemstellungen im Lande äußerte. Eine gewisse "Shut up and play"-Stimmung war stets greifbar.

Das IOC und sein Präsident

Für Thomas Bach waren die Spiele "business as usual": Der einstige Fecht-Olympiasieger tauchte mal hier bei einer sportlichen Entscheidung auf, posierte dann mit der offenbar staatlich eingeschüchterten Tennisspielerin Peng Shuai und erfolgreichen Stars wie der US-Chinesin Eileen Gu. Auch nur ansatzweise in die Tiefe gehende Gespräche mit Athleten hatten bei dieser aseptischen Inszenierung keinen Platz. Und während das IOC eine Rekord-Einschaltquote nach der anderen verkündete, waren Bachs größte Sorgen, dass "dunkle Wolken der wachsenden Politisierung des Sports am Horizont" aufziehen und die "Boykott-Geister" der Vergangenheit wieder "ihr hässliches Gesicht gezeigt" hätten. Weil das die heile Ringe-Welt trübt.

Weiße Elfenaten und der Umweltschutz

Da mögen die Organisatoren noch so sehr auf die Nachhaltigkeit der Spiele von Peking pochen: Zumindest an den Außenschauplätzen ist sehr viel Geld für ein sehr kurzes Vergnügen versenkt worden. Ob auf der 100-Millionen-Schanze von Zhangjiakou oder der noch viel teureren Bob- und Rodel-Bahn in Yanqing: Ob dort jemals wieder ein Weltcup ausgetragen werden wird, ist höchst fraglich. Und da auch der Nutzen für Freizeitsportler sehr begrenzt ist, werden sich viele Sportstätten in die lange olympische Reihe der am langfristigen Bedarf vorbeigeplanten "Weißen Elefanten" einreihen. Weil zudem munter gerodet wurde, Massen an Müll sowie groteske Mengen an Kunstschnee produziert wurden, waren diese Spiele kein Freudenfest des Umweltschutzes.

Corona

Das Positive vorweg: Weil die Chinesen ein knallhartes und perfekt organisiertes Maßnahmenpaket durchzogen, blieben die Fallzahlen verschwindend gering, die Spiele wurden nicht zum befürchteten "Superspreader"-Event. Wen das Virus allerdings doch erwischte, der hatte wenig zu lachen: Die täglichen Meldungen von im "Quarantäne-Knast" gefangenen Stars wie den Kombinierern Eric Frenzel, Terence Weber und Jarl Magnus Riiber waren bedrückend. Und sie zeigen, wie grotesk ein solches Riesensportfest in pandemischen Zeiten doch ist.

(sid/old)
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